TH Köln in Erftstadt – „Sicher ist die Zusage noch nicht“

Die TH Köln entwickelt in Liblar das Projekt „Campus Rhein-Erft“. Auf einem rund 30000 Quadratmeter großen Areal gegenüber der Waldorfschule sollen künftig bis zu 2.000 Studierende in sechs neuen Bachelor- und Masterstudiengängen ausgebildet werden. Mit dem Präsidenten der TH Köln, Prof. Dr. Stefan Herzig, sprach Philipp Wasmund über den aktuellen Stand der Planungen und die Bedeutung des Standorts für Wissenschaft und Stadtgesellschaft.

von Philipp Wasmund

Erftstadt Magazin: Herr Prof. Herzig, für das kommende Wintersemester war der Start des ersten neuen Studiengangs in Köln vorgesehen, der langfristig in Erftstadt angesiedelt werden soll. Wie sieht es damit aus?

Es wurden für unser Projekt noch nicht die erforderlichen Finanzmittel freigegeben. Der politische Prozess zwischen Bund und Land ist sehr komplex, daher kommt erst jetzt manches operativ in Gang. Wir planen nun für 2022 mit dem Start des Studiengangs in Köln.

ESM: Das Projekt Campus Rhein-Erft der TH Köln wird von der „Zukunftsagentur Rheinisches Revier“ im Rahmen eines Wettbewerbs bewertet. Diese hat es im Dezember als „tragfähiges Vorhaben zur Bewältigung des Strukturwandels in der Region empfohlen“. Damit ist jetzt der zweite von drei Sternen erreicht. Viele dachten, dass man schon weiter sei und dass es bald losgehen könnte. Sind Sie darüber enttäuscht?

Enttäuscht würde bedeuten, dass man solche Abläufe nicht vorausgesehen hätte. Unser Projekt, also der Aufbau eines Campus, ist Teil der Debatte um den Kohleausstieg und die Förderung berührt Bundes- und Landeskompetenzen. Entsprechend kompliziert ist die Entscheidungsfindung. Ich rechne mit einer finalen Entscheidung im Laufe des ersten Halbjahres 2021. Es gibt keine Hinweise, dass das Vorhaben abgelehnt wird. Aber sicher ist die Zusage noch nicht.

ESM: Sollte die Entscheidung auch im dritten Schritt positiv verlaufen: Welche Bedeutung hat der neue Standort für die Wissenschaft?

Wir möchten hier eine Fakultät aufbauen mit dem Schwerpunkt Raumentwicklung und Infrastruktursysteme. Die zugehörigen Gebiete nicht nebeneinander, sondern integriert zu betrachten und zu bearbeiten, ist etwas ganz Neues. Die geplanten Studiengänge verbinden die Themen Energie, Digitalisierung, Klimaschutz, Verkehr, Mobilität, Wasser, Freiraum- und Landschaftsplanung.

ESM: Haben Sie den Eindruck, dass unsere Gesellschaft wieder offener für visionäre Ansätze geworden ist?

Visionär im Sinne von ambitioniert, groß und umwälzend denken, ja. Aber nicht im Sinne Helmut Schmidts, der davon sprach, dass wer Visionen hat, zum Arzt gehen soll. Ich denke, dass die Gesellschaft schon recht genau weiß, wohin sie möchte. Beispielsweise zeichnet das Pariser Klimaschutzabkommen ein klares Bild. Unscharf ist, wie man dorthin kommt. Themen wie der Strukturwandel sind komplexe Probleme mit vielen Beteiligten. Dafür benötigen wir nicht mehr den einen Erfinder mit der guten Idee. Wir benötigen Interprofessionalität, den Austausch in gemischten Teams verschiedener Professionen. Aber auch den Austausch mit Gesellschaft und Politik. Es sind Themen, die überall gerade wichtig sind. Das Rheinische Revier soll eine Modellregion werden, die auf ganz Europa ausstrahlt. Deswegen suchen wir hier vor Ort die Lösungen. Wenn man auf dem Gelände in Erftstadt steht und sich 360 Grad umschaut, dann hat man diese Themen vor Augen. Man sieht die renaturierte Ville, die Stadt, die Kühltürme am Horizont.

ESM: Welche Einflüsse kann die TH auf Erftstadt haben?

In kleineren Städten wie Erftstadt ist die Identifikation der Stadtgesellschaft mit „ihrer“ Hochschule oft sehr hoch. Wir möchten den Campus nicht als Ort mit hohen Mauern verstehen, sondern offen sein. Es wird viele Begegnungen geben zwischen Hochschule und den Schulen, aber auch zu mittelständischen Unternehmen. Erftstadt ist ja auch im Wandel. Die Erft wird renaturiert, das steht fest. Dort werden sich Studierende, Lehrende, Schülerinnen und Schüler, aber auch Bürgerinnen und Bürger treffen. Eine Hochschule setzt natürlich auch Impulse in der Demographie. Jüngere Menschen ziehen her. Darauf stellt sich der Einzelhandel ein. Von einhundert Absolventinnen und Absolventen wird vielleicht eine bzw. einer hier einen Betrieb gründen und Arbeitsplätze schaffen. Es wird sicher viele fließende Übergänge geben auf dem Gelände zwischen Hochschule und Stadt. Und wir laden die Menschen hier herzlich dazu ein.