Prof. Dr. Hendrik Streeck im Gespräch

Hendrik Streeck ist seit 2019 Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Bonn. Bekannt wurde er ins –
be sondere durch seine kritische Haltung während der Corona-Pandemie. Wir hatten den Virologen an der
Strippe und sprachen mit ihm über seine eindringliche Forderung nach einer Corona-Aufarbeitung und seiner
Motivation, in die Politik zu gehen.

von Heike Breuers

Ziemlich genau vier Jahre ist es her, ein Virus namens Corona bescherte uns den ersten Lockdown. Aber wie aktiv ist das Virus eigentlich noch und wie steht es um unsere Immunität, wollten wir zunächst von Prof. Hendrik Streeck wissen. Dazu erläutert er: „Auch wenn es nicht mehr so präsent ist, natürlich haben wir noch immer Nachweise von Infektionen. Die beruhigende Nachricht, in der Bevölkerung liegt eine ausgebildete Immunität vor. Corona ist heimisch geworden, reiht sich ein in die grippalen Infekte und wir können so von wesentlich weniger schweren Verläufen ausgehen.“ Weniger beruhigend ist da die nach wie vor fehlende Aufarbeitung der damaligen CoronaPolitik. Erst jetzt, durch die jüngst veröffentlichten Protokolle des Robert-Koch-Instituts (RKI) zur Pandemiebekämpfung, wird das Thema plötzlich debattiert. Dabei buhlt Streeck bereits seit über einem Jahr um eine Corona-Aufarbeitung, traf dabei jedoch meist auf taube Ohren. Er betont: „Ohne eine gute strukturierte Aufarbeitung wissen wir nicht, was wir beim nächsten Mal anders machen würden. Wie in jedem Unternehmen gehört es zu einer guten Fehlerkultur dazu, dass sich auch die Politik fragen muss, haben wir hier richtig reagiert, was lief gut, was schlecht.“ Signifikant sei zudem der gesellschaftliche Aspekt, Streeck sagt: „Es gab viele Menschen, die sich in der Pandemie ungerecht behandelt fühlten. Menschen, die Angst um ihre Existenz hatten, Familien die Probleme mit ihren Kindern in der Schule hatten oder diejenigen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht haben impfen lassen und deshalb Ausgrenzung verspürten.“ Ängste und Sorgen ganzer Gruppen dürften keinesfalls ignoriert werden. „Man muss diesen Menschen die Möglichkeit geben, darüber zu sprechen, sonst stößt man sie ein zweites Mal vor den Kopf.“

„Eine Pandemie wird von der Gesellschaft beendet“

Und im Falle einer neuen Pandemie? „Sicher, wir würden einiges anders machen und ich würde mir auch wünschen, dass Deutschland in einigen Bereichen anders handelt.“ Reflexartig fällt bei Streeck das Thema Schulschließungen: „Ohne Frage, hier wurde zu hart reagiert, weltweit hatte Deutschland mit die längsten Schulschließungen. Aber den größten Fehler, den wir in meinen Augen von Beginn an in der Pandemie gemacht haben, ist, dass wir uns zu sehr auf die Virologie versteift haben. Klar, das Virus spielte irgendwie die Hauptrolle, aber wie eine Gesellschaft mit so einer Krise umgeht, ist keine Beantwortung durch die Virologie.“ Hierfür seien von Anfang an unterschiedliche Sichtweisen von Soziologen, Psychologen, Kinderärzten, aber auch Wirtschaftsweisen und Philosophen nötig, damit auch die Gesellschaft eine derartige Krise bewältigen kann. Andere Meinungen hören, ein großer Lernprozess, der momentan doch hier und da in Gang zu kommen scheint. So in der EnqueteKommission NRW, eine politische Kommission, wo alle gewählten Parteien sowie fünf ständige Fachexperten vertreten sind. Hendrik Streeck gehört dazu. Neben Corona geht es um die Überschwemmungen im Ahrtal und das damit verbundene Krisenmanagement.

„Die Debatte ist eine Grundvoraussetzung des demokratischen Diskurses“

Streecks politisches Engagement ist breit gefächert. Bereits 2017 trat er in die CDU ein. Jetzt will er für die CDU im Wahlkreis Bonn in den Bundestag. Seine Motivation? „Die Pandemie war für mich symptomatisch für Vieles, was in unserem Land falsch läuft. Ein Beispiel ist die Debattenkultur.“ Extrem verspürt hat der gebürtige Göttinger das vor allem an sich

selbst. „Man hat nicht mehr diskutiert, es wurde in Lagern gesprochen, unversöhnlich, unwissenschaftlich, unsachlich. Ich mache mir Sorgen um Deutschland, darum, dass unsere Demokratie nicht mehr standhaft ist und dass wir nicht mehr miteinander reden können. Streeck glaubt: Es braucht mehr Menschen aus der Praxis, die sich in der Politik einbringen, die auch Lösungsansätze geben. Und es braucht Menschen, die für ihre Überzeugung kämpfen und einstehen können.“ Dass Streeck für seine Überzeugung einsteht, hat er in der Pandemie jedenfalls mehrfach unter Beweis stellen müssen und dafür ordentlich Gegenwind bekommen. Zweifelsohne gute Vorboten für eine Kandidatur. Wie auch die Tatsache, dass schon sein UrUr-Großonkel in Bonn für Bonn im preußischen Abgeordnetenhaus saß. In Sachen Aufarbeitung lässt der 46-jährige Virologe ebenso nicht locker. Mit seinem in den letzten Zügen stehenden Buch geht er weiter auf Konfrontationskurs. „Nachbeben – die Pandemie, ihre Folgen und was wir daraus lernen können“ soll Ende September erscheinen. Und wenn es mal nicht um Politik und Virologie geht? Dann dreht sich alles um seinen Golden Retriever Sam und seinen Mann. Und ums Joggen. Da lässt sich Naturfreund und „Sommermensch“ Streeck gerne mal aussetzen und joggt die 14 km von Meckenheim zurück nach Hause