„Offenes Ohr“ für Flutopfer und Helfer – Hilfe in schweren Zeiten

Ehrenamtlich haben sich Experten zusammengeschlossen, um telefonisch für Flutopfer und Helfer Gespräche in Erftstadt anzubieten. Rund 30 Personen mit psychosozialer Ausbildung bilden das „Offene Ohr“. Sprecherin der Gruppe ist Anja Laudowicz-Bodi, die Philipp Wasmund von dem Projekt erzählte.

Von Philipp Wasmund

Wie entstand das Angebot?

Einige von uns haben über Facebook erfahren, dass es Gesprächsbedarf bei Betroffenen der Flut gibt. Wir haben uns dann recht schnell über das Angebot, den Zeit¬plan und eine Telefonnummer geeinigt. Wichtig war uns, dass wir das ano¬nym machen. Wir bieten es kostenlos an und nicht als Marketingaktion. Auch sind wir mit der Nachsorgestelle des Kreisgesundheitsamts vernetzt. Dort gibt es Psychiater, die bei Bedarf auch eine Diagnose stellen können, die zum Beispiel für eine psychotherapeutische Behandlung notwendig ist.

Was möchte das „Offene Ohr“ anbieten?

Wir bieten keine Therapie am Telefon, es ist wirklich ein „Offenes Ohr“. Es ist nach so einem Erlebnis wichtig, dass zum Beispiel jetzt im Stress des Wiederaufbaus, Menschen das Gefühl haben, dass ihr Schmerz gehört wird. Das nimmt erst einmal viel Druck. Manche können nicht mehr schlafen, bekommen bei jedem Regentropfen Herzrasen. Das sind Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung, die aber vorübergehend sein kann. Wenn man darüber redet, dann kann das schon dafür sorgen, dass es sich nicht festsetzt. Wenn nötig, können wir an andere Stellen vermitteln. Wir können die Hemmschwelle senken, sich Hilfe zu holen. Aber im Mittelpunkt steht das Gesprächsangebot.

Sie waren selbst in mehreren Flutgebieten ehrenamtlich im Einsatz. Welche Gespräche haben Sie vor Ort geführt?

Wenn man jemanden direkt anspricht, egal wo, dann erzählen die Menschen immer von ihren Erlebnissen. Die Gründe für die Trauer sind vielfältig. Es gibt Menschen, die jemanden verloren haben. Aber ich habe in Erftstadt auch erlebt, dass jemand große materielle Verluste hat, dann aber unter Tränen vom Leid der Freunde berichtet. Sehr häufig gibt es auch so etwas wie ‚Überlebensschuld‘. Man verdrängt die eigenen Sorgen, weil man denkt, es gibt andere denen es schlimmer geht. Das kann aber dazu führen, dass selbst keine Hilfe angenommen wird.

Wie kann man Betroffene unterstützen?

Jeder kann etwas beitragen. Gute Hilfe muss nicht professionell sein. Es ist auch viel Wert, wenn man in dieser Situation jemanden zum Kaffee einlädt. Aber Hilfe kann auch zur Belastung werden. Man darf sich nicht auf die Emotionen stürzen, nicht übergriffig sein. Mitgefühl ist gut, Mitleid ist nicht so hilfreich. Die Menschen sollen ja nicht in ihrem Opferstatus verharren.

Auch für Helfer ist die Situation nicht zu unterschätzen. Worauf muss man als Unterstützer achten?

Ich denke, durch die Corona-Zeit gibt es ein großes Bedürfnis aus der Vereinzelung herauszutreten. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft ist gesund. Aber es ist nicht gut, wenn Frust entsteht, weil ein Hilfsangebot nicht angenommen oder nicht so geschätzt wird. Es ist eine Herausforderung, zwischen dem Alltag und der Hilfe zu funktionieren. Man sollte die Grenzen für sich beachten.

Wie lange ist die emotionale Nachsorge noch nötig?

Wir glauben, dass der Bedarf noch steigen wird, wenn im Alltag das Ausmaß klarer wird. Momentan gibt es noch in den Häusern viel zu tun.

Das Offene Ohr ist täglich von 10 bis 13 Uhr und 20 bis 24 Uhr erreichbar unter: 02235 / 7946858.