Hinter den Mauern des „Klingelpütz“ – Chefin von 750 Gefangenen

Seit neun Jahren leitet die Rondorferin Angela Wotzlaw die Justizvollzugsanstalt (JVA) Köln. Der „KIingelpütz“ ist mit 1.200 Haftplätzen die nach München-Stadelheim größte geschlossene Haftanstalt Deutschlands. Zurzeit verbüßen in Ossendorf 550 Männer und 200 Frauen ihre Strafen und Untersuchungshaft. Wotzlaw gewährte Stadtmagazine-Redakteur Hans Peter Brodüffel einen seltenen Einblick in den Alltag hinter den Gefängnis mauern.

von Hans Peter Brodüffel

So sehen die wichtigsten täglichen Abläufe im Klingelpütz aus: 6 Uhr: Wecken und Frühstück, 7 Uhr: Erstes Ausrücken zur Arbeit, 12 Uhr: Nach dem Mittagessen zweites Ausrücken zur Arbeit, 18 Uhr: Abendessen, danach drei Stunden Freizeit. 21 Uhr: Nachtverschluss. Gearbeitet wird unter anderem in der Schlosserei, Malerei und Schneiderei. Angela Wotzlaws Alltag ist eine komplexe Gratwanderung, die sowohl konsequentes Handeln als auch die Bereitschaft, zuzuhören, erfordert. Die Leiterin der Justizvollzugsanstalt nimmt sich viel Zeit für persönliche Gespräche, in denen nicht nur rechtliche, sondern auch psychologische und pädagogische Erfahrung gefragt ist. „Einigen fehlt jedes Problembewusstsein für die begangenen Straftaten. Diese Menschen dann so zu führen, dass sie mit ihrer Schuld leben können, ihr Fehlverhalten erkennen und sich selbst um einen Ausweg aus ihrer Lebenslage bemühen, das ist eine große Herausforderung“, sagt die Juristin.

Die 55-jährige ist nicht nur aktuell für 750 Inhaftierte, sondern auch für 500 Mitarbeiter zuständig. Dazu ge hören Justizvollzugsbeamte, Juristen, Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger. Eigentlich wollte die gebürtige Kölnerin nach dem Jurastudium Staatsanwältin werden. Dass es anders kam, hat sie keinen Tag bereut. „Das hier ist mein Traumberuf. Er ist sehr vielfältig, man kann schnell entscheiden und effektiv gestalten. Vor allem ist es für mich ein Dienst an der Gesellschaft. Wir richten ja nicht über Menschen. Das tun die Gerichte. Unsere Aufgabe ist es,
Menschen zu resozialisieren“, betont sie.

Der Name „Klingelpütz“

Das Areal des „Arrest- und Correctionshaus am Klingelpütz zu Cöln“ (1838 – 1968) nahe dem Gereonswall gehörte im Mittelalter einer Familie Clingelmann. Auf dem Gelände gab es mehrere Brunnen, aus denen sich die Anwohner bedienen konnten. Der kölsche Begriff „Pütz“ leitet sich vom lateinischen „puetus“ (Brunnen) ab. Der Name ist also eine Zusammensetzung von „Clingel“ und dem kölschen Wort für Brunnen – Pütz. „Knast-Promis“ im zweiten Klingelpütz in Ossendorf waren unter anderem Pleitebankier Iwan Herstatt und DDR-Spion Günter Guillaume. Im Hochsicherheitstrakt der JVA waren die RAF-Terroristen Andreas Bader und Ulrike Meinhof und NSU-Mitglied Beate Zschäpe festgesetzt.

In den Männern und Frauen hinter Gittern sieht sie keine Menschen zweiter Klasse, sondern Menschen, die Hilfe brauchen – unabhängig von der Brutalität der Taten und der berechtigten Härte der Strafen. Um die Wiedereingliederung zu ermöglichen, bietet Wotzlaw ihren Inhaftierten auch schulische Abschlüsse und berufliche Qualifizierungen an. Im schulischen Bereich reichen die Abschlüsse von Hauptschule Klasse 9 bis zur Fachhochschulreife. Für weibliche Inhaftierte werden zum Beispiel modulare Ausbildungsabschnitte „Friseurin“, „Textil reinigerin“ und „Modenäherin“ angeboten. „Hilfreich für die Resozialisierung sind auch die Sportangebote von Fußball bis tänzerische Gymnastik“, weiß Wotzlaw, „aber natürlich auch Antiaggressionstraining oder Soziales Training.“

Der Klingelpütz ist in die Jahre gekommen

Bereits 2014 hat der Landtag einen mit 240 Millionen Euro veranschlagten Neubau an gleicher Stelle in Ossendorf beschlossen. Der Baubeginn war für 2021/2022 geplant. Doch die Leitende Regierungsdirektorin wird sich wohl noch einige Jahre gedulden müssen. Derzeit fehlen die notwendigen Haftraumkapazitäten in anderen Anstalten, um 500 Inhaftierte für die Dauer der Baumaßnahmen verlegen zu können. „Ein Neubau ist dringend notwendig.

Die Gebäude sind massiv mit Asbest und anderen Schadstoffen belastet, der Putz bröckelt und die Rohre sind marode. Außerdem sind Türschlösser, Sanitäranlagen und Elektrik veraltet.“ Auf Angela Wotzlaws Wunschliste stehen auch größere Hafträume und mehr Räumlichkeiten für die Arbeitsplätze. Eine so anspruchsvolle Füh rungsaufgabe wie die von Angela Wotzlaw erfordert viel Ausgleich in der Freizeit. Dazu gehören bei ihr die wöchentliche Aquafitness, das Gassi gehen mit Labrador „Bine“, Sticken und Häkeln. Kriminalgeschichten lassen die Mutter zweier erwachsener Kinder aber auch nach dem Dienst im Klingelpütz nicht los. So löst sie mit dem Tablet die kniffeligen Fälle in „Criminal Case“ und verfolgt die FBIProfiler in der US-Serie „Criminal Minds“. Besonders gerne greift sie zu den Geschichten von Agatha Christie mit der schrulligen Miss Marple und dem schnurrbärtigen belgischen Privatdetektiv Hercule Poirot. „Zu düster dürfen die Geschichten nicht sein.

Ich mag Geschichten, die irgendwie gut ausgehen.“ Als Kölnerin hofft sie auch auf einen guten Ausgang der Diskussion um die nächste Karnevalssession. Seit fünfzehn Jahren veranstaltet Angela Wotzlaw in Kooperation mit dem Festkomitee Kölner Karneval am Mittwoch vor Weiberfastnacht eine „Mädcher-Sitzung“ hinter Gittern.