Deutschland diskutiert über Angriffe – Retter in Gefahr?

Jeder achte Retter wurde im Dienst schon attackiert, zeigte eine Studie der Uni Bochum im letzten Jahr. Anfang 2018 riefen Gewerkschafter dazu auf, gegen Gewalt gegen Rettungskräfte auf die Straße zu gehen. Die Stadtmagazine sprachen mit Mitarbeitern in Rettungsdiensten in der Region über ihre Erfahrungen.
von Philipp Wasmund
Alexander Kern, Leiter der Feuer – wehr in Erftstadt, denkt nach. „Gefährliche Situationen für Rettungskräfte sind sicher nicht weniger geworden“, formuliert er vorsichtig. Er selbst erinnert sich dabei vor allem an Silvester. „Es wurde unser Fahrzeug mit Böllern bewusst beschossen“, erinnert er sich. Für den erfahrenen Feuerwehrmann eine Aktion, die ganz viel mit nicht nachdenken zu tun hat. „Da bedenken Jugendliche nicht, dass das Fahrzeug dann vielleicht ausfällt und es zu Verzögerungen bei der Rettung kommen kann.“ Momente, die über Leben und Tod entscheiden können. Eine Studie der Uni Bochum zeigte auf, dass 60 Prozent der Befragten in den Rettungskräften Beleidigungen erlebt haben. „Ich habe gelernt, das zu überhören, das geht bei mir in das eine Ohr rein und direkt wieder raus“, erklärt Notarzt Dr. Jürgen Ellering vom Brühler Marienhospital, der auch in den umliegenden Städten im Einsatz ist. Ellering ist seit 1977 im Rettungsdienst tätig und hat viel Verständnis für seine Patienten. „Die Menschen haben in Extremsituationen einen Tunnelblick.“ Richtig gefährliche Momente hat Ellering nur selten erlebt, obwohl die Einsatzzahlen steigen. „Wir sind heutzutage aber auch sehr gut geschult durch Deeskalationstrainings.“ Rettungskräfte würden sehr professionell auch mit schwierigen Personengruppen umgehen, ihren aufbrausenden Emotionen ruhig begegnen. Sorgen macht sicher der Mediziner schon eher, wenn er in unübersichtliche Situationen kommt. „Ist man in einer dunklen Wohnung und der Patient hat einen Hund, muss man vorsichtig sein.“ Der „beste Freund“ des Menschen erkennt nicht, ob der Arzt seinem Herrchen helfen möchte oder ihn bedroht.

Menschen mit Tunnelblick

Matthias Fink ist Leiter des Rettungsdienstes der Feuerwehr Hürth. „Wir fahren 15.000 Einsätze im Jahr“, erklärt Fink. „Dabei ist nur ein geringer Anteil wirklich problematisch.“ Mit Gewalt gibt es nur wenig Probleme, aber dass die Arbeit der Rettungsdienste nicht immer wert geschätzt wird, kennt er. „Man wundert sich, wenn andere Verkehrsteilnehmer uns den Vogel zeigen, weil wir mit Blaulicht fahren.“ Auch Beleidigungen kommen vor. „Das kann schon auch belastend sein.“ Inzwischen gibt es in Hürth professionelle psychologische Beratung für die Einsatzkräfte. Ausnahmesituationen gab es auch für Matthias Fink schon. Der langjährige Rettungssanitäter war bei einer Messerstecherei vor der Polizei an der Einsatzstelle. „Wir sind raus und haben versucht zu vermitteln. Aber so etwas nimmt man auch nicht so leicht, da bleibt immer was zurück.“ Auffällig sei jedoch auch in den kleineren Städten, dass viele mit den Rettern alles diskutieren wollen. „Wenn wir eine Straße absperren, dann steigen manche aus den Autos aus und fragen, ob sie nicht doch durchdürfen“, erklärt Fink. Dass die Autorität nicht immer wahrgenommen wird, kennt auch Dr. Jürgen Ellering. „Nicht jeder versteht, dass wir aus guten Gründen entscheiden, in welches Krankenhaus der Patient gebracht wird. Es wird alles hinterfragt.“ Auch Alexander Kern nimmt bei manchen ein anderes Verhältnis zu den Rettungsdiensten wahr, als früher. „Mancher erwartet von uns einen Rundumsorglosdienst. Wir leisten viel, aber wollen nicht ausgenutzt werden.“ Mancher setze einen Notruf ab, statt ein Taxi zu bestellen. „Die sitzen dann vor Ort schon auf gepackten Koffern.“ Doch sei es in Städten wie Erftstadt und Hürth alles noch harmlos. „Wir haben rund 500 Leute die bei Feuerwehr und Rettung aktiv sind oder waren. Fast jeder in der Stadt kennt also einen Retter persönlich, das macht schon was aus, wie man sich verhält. Das ist in Großstädten anders“, sagt Alexander Kern. Auch Matthias Fink glaubt, dass es im ländlichen Bereich einen anderen Zugang zu den Rettern gibt. „Und ich muss betonen, die schönen und dankbaren Situationen im Rettungsdienst überwiegen ganz klar. Und daraus ziehen wir viel Motivation. Wir wollen ja helfen“, sagt Matthias Fink lächelnd.