„The Voice Senior“ – Die große Flatter hat sich gelohnt

Mit 66 Jahren sang Birgit Rüßmann vor einem Millionen-Publikum

Es ist ein paar Monate her, da hat Birgit Rüßmann ihr Leben Revue passieren lassen. Anlass war ihre Teilnahme an der Casting-Show „The Voice Senior“. Zum ersten Mal lief im Dezember 2018 neben der Staffel für Kids und Erwachsene speziell eine für Gesangtalente jenseits der 60. Unabhängig von der Altersgruppe ist das Format angesehen, weil nur wirklich gute Stimmen es überhaupt auf die Bühne schaffen. Birgit Rüßmann aus Hennef hat eine solche.

Mit 66 Jahren gelang ihr der Sprung durch alle Stufen des aufwändigen Auswahlverfahrens. „Meine gesamte musikalische Vorgeschichte war gefragt“, erzählt die attraktive Mutter und Großmutter. „Ich stellte mir natürlich auch die Frage, warum es in meinem Leben mit einer Gesangskarriere nie geklappt hat. Für mich hatte immer fest gestanden, ich wollte singen und Familie haben. Ich bin mit mir im Reinen, ich bin glücklich, meine ganze große Familie wohnt im Umfeld. Mein Traum wäre ein Mehrgenerationenhaus.“

Schon mit acht Jahren stand Klein-Birgit auf der Bühne. Vater Schorsch (Georg) Rüßmann war Berufsmusiker, Kompositeur und Arrangeur und hatte selbst eine Band. Schlager, Volksmusik und Karnevalslieder waren sein Metier. Für die Tochter hatte er das Lied „Ich bin klein“ komponiert. Im Saal Wingen in Hennef war der erste Auftritt. „Ich wurde auf einen Stuhl gestellt und habe gesungen. Dann nahm der Prinz mich auf den Arm, ich fand es toll“, lacht die Erwachsene.

Als sie 16 Jahr alt war, kam ihre erste Platte heraus. Die Plattenfirma Emi-Electrola war 1968 durch den Kontakt zum Vater auf sie aufmerksam geworden. Der Titel ihrer ersten Platte „Moderne Mädchen“, ein Schlager, der erfolglos blieb. Dafür erhielt sie von der Firma den Tipp, sich in München zu bewerben, dort wurden Sänger*innen für ein neues Musical aus Amerika gesucht. „Es ging um Haare und hieß „Hair“, darunter konnte ich mir natürlich nichts vorstellen“, erzählt sie. Ihr Vater begleitete sie zur Audition, „so nannte man damals ein Casting. Das war eine ganz neue Welt für mich, lauter Verrückte, Hippies“, lacht sie. „Ich sah ganz anders aus, hatte kurze Haare und eine Brille.“ Doch ihr Gesang überzeugte, sie bekam die Rolle der naiven Chrissy. Die Mama besorgte ihr ein möbliertes Zimmer bei einem Ehepaar. „Dort war ich wie das Kind im Haus.“ Neun Monate lief das Stück in München, dann folgten mehrmonatige Stationen in Düsseldorf und Hamburg.

Wieder zurück in Hennef arbeitete sie im Studio des Vaters, nahm Platten auf, heiratete und bekam zwei Töchter, die sie alleine groß zog. Auch der jüngere Bruder Helmut war Musik infiziert. In seinem Tonstudio arbeitet sie bis heute noch halbe Tage im Büro. Als Background- oder Bandsängerin sang sie für Jürgen Drews, Brunner & Brunner oder Wolfgang Petry. Auch mit Heino und mit Wolfgang Niedecken stand sie schon auf der Bühne. Jahrelang tourte sie an Wochenenden mit ihrer „Jetset-Band“ zu Auftritten im Kölner Raum. Für Anna Maria Zimmermann schrieb sie mit an „Was ist mit Liebe“ und „Immer wenn die Sehnsucht erwacht“.

Die Familie war es, die ihr Dampf machte, sich bei „The Voice Senior“ anzumelden und ihr gesangliches Können vor Millionen-Publikum zu zeigen. Ihr Bruder hatte im Fernsehen den Aufruf zur Teilnahme gesehen. Birgit Rüßmanns Töchter, ihre Neffen, Nichten und Enkel fanden die Idee ausgezeichnet. Sie aber ließ sich drei Wochen Zeit, bevor sie eine Entscheidung traf. „Ich habe mich gefragt, ob ich mich mit 66 nochmal bewerten lassen möchte. Es hat mich Überwindung gekostet“, verrät die gertenschlanke und jugendlich wirkende Frau.

Einmal entschieden, drehte sie mit den Töchtern ein Bewerbungsvideo. Fürs Scouting in Köln bereitete sie drei Titel vor. „Da waren coole Stimmen dabei“, sagt sie über Mitkandidaten. Die Einladung zu den Blind Auditions in Berlin überbrachte der Moderator der Sendung persönlich. Unter dem Vorwand, sich zu treffen, um die jüngsten Urlaubsfotos anzuschauen, hatte die Familie sie in die Hennefer Fußballhalle gelockt. „Ich war völlig ahnungslos, wunderte mich aber, warum meine Tochter fragte, ob ich nicht etwas anderes anziehen wolle und mein Enkel wollte wissen, ob ich aufgeregt wäre“ Im Nachhinein ging ihr ein Licht auf.“ Ihre erste Reaktion als Thore Schölermann ihr die frohe Botschaft vor laufender Kamera überbrachte war denn auch: „Mein Gott, wie sehe ich aus!“

Im vergangenen Juli fand bereits die Aufzeichnung der Blind Auditions in Berlin statt. Ein großer Teil der Verwandtschaft reiste mit, ebenfalls im Gepäck: vier Bühnenoutfits. Birgit Rüßmann gab Interviews: „Alles war entspannt, bis ich für die Aufzeichnung abgeschottet wurde. Ich hörte meine Vorgänger auf der Bühne singen und das Publikum. Eine Psychologin war bei mir. Mir ging wahnsinnig die Flatter, meine größte Sorge war, ich könnte hinfallen. Mit „No, no never“, einem Country-Song, mit dem Texas Lightning beim Eurovision Song Contest 2006 für Deutschland angetreten war, ging die Sängerin ins Rennen. Ausgewählt hatte den Song für die „Blinds“ der Sender aus zehn Vorschlägen, die jeder Teilnehmer im Vorfeld als mögliche Lieder eingereicht hatte.

Yvonne Catterfeld, Mark Forster, Sasha und The Boss Hoss saßen in der Jury, die mit dem Rücken zur Bühne. Die Besonderheit an diesem Format ist, dass die Jury ausschließlich den Gesang bewertet, nicht das Erscheinungsbild. Als die Henneferin die ersten Töne anstimmt, kommt Bewegung in die Jury. „Klingt voll jung“, findet Yvonne Catterfeld. Alle lassen sich vom Takt mitreißen, zu hören sind positive Kommentare (das Video ist auf youtube zu sehen). Birgit Rüßmann sieht toll aus, legt einen Super-Auftritt hin, das Lied passt zu ihr. Die Coaches haben die Hand auf dem Buzzer liegen, drücken letztlich aber nicht drauf, dann wäre sie eine Runde weiter gewesen.

Birgit Rüßmann sieht es gelassen. „Boss Hoss wären meine erste Wahl gewesen. Nachdem sie mich gesehen hatten, meinten sie, es sei ein Fehler gewesen nicht zu buzzern. Dafür haben sie mich zu ihrem Konzert eingeladen, da fahre ich demnächst hin. Es war eine ganz tolle Erfahrung und nochmal ein Höhepunkt in meinem Leben.“ Bekannte erkundigten sich hinterher nach ihren Erfahrungen. „Ich kann Interessierten nur empfehlen, macht es! Das Team von The Voice hat sich toll um uns gekümmert.

Wer Birgit Rüßmann einmal live erleben möchte, kann das am 30. April beim Tanz in den Mai. Dann singt sie gemeinsam mit Herbert Ihle in Klein’s Eck in Hennef.