Personalmangel – Wo sind all die Arbeitskräfte geblieben?

Lange Warteschlangen im Flughafen, keine Kellner in der Gastronomie und zu wenig Handwerker – in vielen Branchen fehlen Mitarbeiter. Stadtmagazine-Redakteur Hans Peter Brodüffel hat sich auf Spurensuche begeben.

Es ist zum in die Luft gehen: Mehrere hundert Meter lange Warteschlangen und Flieger, die ohne Gepäck abheben. Das Chaos am Flughafen Köln/Bonn zur Hauptreisezeit ist an der Tagesordnung. Egal, ob Bodendienstleister, die sich um die Koffer kümmern, der Check-In oder die Sicherheitskontrollen. „Zwanzig Prozent des Personals fehlen“, weiß Isabelle Polders, Sprecherin des Flughafenverbandes ADV. Dabei war das Chaos am Flughafen Köln/ Bonn leicht vorhersehbar. Flughafen, Reisebüros und Airlines wie Eurowings hatten bereits Ende letzten Jahres mit wesentlich mehr Fluggästen gerechnet. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) und die Gewerkschaft Verdi werfen den Arbeitgebern krasses Versagen vor. Verdi hatte schon vor Monaten wiederholt einen Personalaufbau angemahnt und die derzeitigen Zustände exakt vorausgesagt. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrsgesellschaft ruft nun nach ausländischen Kräften – vornehmlich aus der Türkei. Die Einwanderung, so Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow, müsse dringend gesetzlich erleichtert werden. Zwei Jahre Corona mit ihrer Unsicherheit, Entlassungen und Kurzarbeit haben besonders in der Gastronomie Spuren hinterlassen. Viele Betriebe in NRW können mehr als die Hälfte ihrer Vollzeitstellen nicht besetzen, rund 80 Prozent suchen händeringend Minijobber. Viele Kellnerinnen und Kellner haben der Branche den Rücken gekehrt und arbeiten heute in Testzentren oder bei Lieferdiensten – Branchen, die in der Krise gewachsen sind. Laut Georg Frey, Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) im Rhein-Erft-Kreis fehlen im Kreis derzeit pro Betrieb drei bis fünf Mitarbeiter. Frey: „Zur Mitarbeitergewinnung reicht nicht nur das mittlerweile gute Gehalt oder die hohe Ausbildungsvergütung auch die Wertschätzung von Gästen und Chefs.“ DEHOGA-Präsident Guido Zöllick fordert schnelle Lösungen zur Mitarbeitergewinnung wie eine erleichterte Zuwanderungsregelung und eine verbesserte Arbeitsintegration von Geflüchteten. Vor allem: Im Schatten von Corona läuft nun eine Entwicklung ab, die nicht mehr aufzuhalten ist. Der demographische Wandel schlägt langsam aber voll durch. In den nächsten zehn Jahren werden vier Millionen Menschen mehr in Rente gehen als Junge in den Arbeitsmarkt
nachkommen.

Aufwertung der beruflichen Bildung

In der Region, so die Handwerkskammer Köln, sind Fachkräfte in allen Bereichen des Handwerks gefragt. Die gelte besonders für klimarelevante Gewerke, GesundheitsundLebensmittelhandwerk (Bäcker, Fleischer, Fachverkäufer), das Malerhandwerk sowie alle Metallberufe. Der Hürther Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, will Gesellschaft und Politik davon überzeugen, dass die alten Klischees vom Handwerk heute nicht mehr greifen. Das Handwerk sei modern, innovativ, digital und für die Energiewende unersetzlich. „Wenn Minister Habeck 500.000 Wärmepumpen pro Jahr haben will, brauchen wir für die Umsetzung die nötigen Leute.“ Der Hürther hatte kürzlich in München auf der Internationalen Handwerksmesse Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck zu Gast. Vehement forderte Wollseifer eine Bildungswende gegen den zunehmenden Mangel an Fachkräften. Die Politik müsse den Fokus wieder sehr viel stärker auf die berufliche Bildung legen. Diese benötige dringend mehr ehrliche Wertschätzung und Anerkennung. Wollseifer: „Wir fordern ein Gesetz, in dem die Gleichwertigkeit der Qualifikation einer akademischen und beruflichen Bildung festgeschrieben wird.“ Für Marcel Fratzscher, Leiter des Instituts des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), kann der Mangel an Arbeitskräften nur mit tiefgreifenden Änderungen behoben werden. „Das größte nicht genutzte Potenzial im deutschen Arbeitsmarkt sind Frauen. Knapp die Hälfte der berufs tätigen Frauen arbeitet in Teilzeit. Wir müssen das Ehegattensplitting abschaffen und Kita-Plätze ausbauen. Andernfalls lohnt es sich für Frauen schon rein steuerlich nicht zu arbeiten. Fratzsches zweite Forderung lautet: Minijobs regulieren. „Minijobber wurden in der Pandemie schlecht behandelt. Sie hatten keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Über eine Million verloren ihre Arbeit.“ Zusätzlich müsse man den Mindestlohn erhöhen. So würde der Druck auf die Unternehmen steigen, die Arbeitsläufe effizienter zu gestalten. Dies sei die Voraussetzung, um überhaupt steigende Löhne zahlen zu können.

Eine weitere wichtige Forderung: Die Zuwanderung müsse dringend erleichtert werden. Fratzsche prognostiziert eine tektonische Verschiebung: „Arbeitnehmer werden mächtiger. Es wird eine Transformation von einem Arbeitgebermarkt zu einem Arbeitnehmermarkt geben.“