„Im Schatten des Kreml“: Unersättliche Elite, darbendes Volkes

Jahrelang hat uns Udo Lielischkies als Leiter des ARD-Büros Moskau über die Ereignisse in Russland informiert. In seinem faszinierenden Buch „Im Schatten des Kreml. Unterwegs in Russland“ wird die ganze Wahrheit des heutigen Russlands lebendig. Der renommierte Korres – pon dent, der seit sechs Monaten mit seiner russischen Frau und seinen zwei Töchtern in Brühl lebt, verbindet in seinem informativen, spannenden und bewegenden Buch Kritik am autoritären Putin-Regime mit aufrechter Zuneigung zu den russischen Menschen. Stadtmagazine-Redakteur Hans Peter Brodüffel hat mit den prominenten Neu-Brühler gesprochen.

Wir treffen uns im Rathaus, wo wir einen Blick hinter die Kulissen des 50. Max Ernst Stipendiums werfen. „Brühl hat wirklich ein bemerkenswertes Kulturangebot. Eine liebenswerte Stadt. Wir fühlen uns sehr wohl hier“, sagt der international bekannte Journalist, der für die ARD auch regelmäßig aus Brüssel und Washington berichtete. Seit sechs Monaten wohnt der 66-jährige mit seiner Familie in der Innenstadt. Seine Frau Katia hat er beim Russischunterricht an der Deutschen Schule in Moskau kennen- und liebengelernt. Die 41-jährige bereitet sich zurzeit auf eine Lehrtätigkeit für Russisch und Englisch vor. Die ältere Tochter besucht gerne das Cultra und ihr Vater hat beim TC Fredenbruch ein Domizil für seine sportliche Leidenschaft gefunden: Udo Lielischkies ist staatlich geprüfter Tennislehrer.

In Russland grassiert die Armut

Seit 1999, dem Jahr als Wladimir Putin an die Macht kam, berichtete der in Köln geborene Journalist aus Russland. Der Korrespondent im Ruhe – stand weiß, dass der außenpolitische Glanz der späten Putin-Jahre mit einer desaströsen Wirtschafts- und Sozialpolitik kontrastiert. Seit dem Verfall des Weltmarktpreises für Öl und Gas befindet sich die russische Wirtschaft auf rasanter Talfahrt. In Russland grassiert die Armut: Fast 19 Millionen Menschen müssen von 150 Euro im Monat leben. Laut der Statistikbe – hörde „Rossta“ haben 29 Millionen Russen überhaupt kein fließendes Wasser und 22 Millionen keine Heizung. Wie bewertet Lielischkies Putins überraschende Ankündigung, den Staatsapparat umzubauen und den geschlossenen Rücktritt der russischen Regierung? „Putin macht Medwedew zum Prügelknaben, legt ihm alles zur Last. Die Unzufriedenheit ist gewaltig. Das hat den Kreml sehr nervös gemacht. Es werden aber nur die Kulissen geschoben. Putin ist ein ausgebuffter Machtpolitiker. Der geht jetzt nicht im Park Tauben füttern.“

Stille Helden des Alltags

Lielischkies bezeichnet Moskaus Zentrum als ein vom Rest des Landes abgekoppeltes Raumschiff, als glitzerndes filmreifes Panoptikum neureicher Selbstdarstellung. „Das Zentrum ist Russlands Disneyland für das opulente Leben einer kleinen Elite, das vom System Putin profitiert.“ Das reale Russland ist laut Lielischkies dunkel, verkommen und vergessen. „Ein riesiges Land, das den Preis bezahlt für das Leben einer kleinen, sehr reichen, sehr zynischen Elite.“ Von diesem Russland, seinen stillen Alltagshelden, die in ausweglosen Situationen weiterkämpfen und todesmutigen Journalisten, wird Udo Lielischkies bei seiner bereits seit vielen Wochen ausverkauften Lesung im Kapitelsaal des Brühler Rathauses berichten.