Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer im Gespräch


„Im Handwerk lassen sich Träume verwirklichen“ – Der Hürther Hans Peter Wollseifer ist Präsident des Zentralverbandes des deutschen Handwerks (ZDH) und der Handwerkskammer zu Köln. Hier kämpft er seit Jahren ehrenamtlich für mehr Wertschätzung im Handwerk. Wir sprachen mit ihm über die verkannten Möglichkeiten im Handwerksberuf.

von Heike Breuers

Schulabgänger favorisieren meist das Studium vor einer Ausbildung. Was spricht für das Erlernen eines Handwerksberufs?

Das Aufstiegsversprechen durch das Studium kann heutzutage oft nicht mehr gehalten werden. Das sollten Bildungspolitiker endlich einsehen und entsprechend kommunizieren. Nahezu 30 Prozent der Bachelor-Studierenden in Deutschland beenden ihr Studium vorzeitig und verlassen die Hochschule ohne einen (ersten) Abschluss. Die Hauptursachen dafür liegen in Leistungs- und Motivationsproblemen, dem Wunsch nach einer praktischen Tätigkeit sowie finanziellen Motiven. Wer eine Ausbildung beginnt, verdient ab dem ersten Tag eigenes Geld und macht sich damit schnell finanziell unabhängig. Bis Akademiker diesen Zeitvorsprung aufgeholt haben, dauert es viele Jahre. Der immense Praxisbezug, der sichere Arbeitsplatz sowie die schnellen Aufstiegs- und Karrierechancen sind nur einige der vielen Vorteile, die das Handwerk mit sich bringt. Das in der Gesellschaft vorherrschende Bild des Handwerks spiegelt bedauerlicherweise nicht den modernen, facettenreichen und zukunftsfähigen Wirtschaftssektor wider, der wir eigentlich sind.

Das Handwerk ist ein wichtiger Motor für Wachstum und Wohlstand in Deutschland. Wo sehen Sie Ansätze, Jugendliche zu einer Ausbildung zu überzeugen? Und wie könnte man Eltern mit ins Boot holen?

Junge Menschen sollten möglichst früh handwerkliches Arbeiten kennenlernen. Praktika und Berufsfelderkundungen sind ein probates Mittel, um sich insbesondere mit unbekannten Handwerksberufen in den über 130 Gewerken vertraut zu machen. Auch für leistungsstarke Gymnasiasten eröffnen sich im Handwerk exzellente Karrierewege bis hin zum Unternehmertum. Gerade deshalb sollten sich diese Schulformen stärker dem Handwerk öffnen. Zusätzlich stellen Berufsorientierungsveranstaltungen an Schulen eine sinnvolle Ergänzung dar. Zum Beispiel durch Einsätze von Ausbildungsbotschaftern, die unsere Kammer koordiniert. Zeitgleich müssen auch Eltern und Berufsorientierungskräfte mit in den Blickpunkt gerückt werden, beispielsweise bei Elternabenden oder Schulmessen.

Welche Aufstiegsmöglichkeiten bieten sich im Handwerk?

Nirgendwo sonst ist es möglich, in kurzer Zeit so viel zu erreichen wie im Handwerk. Besonders Talentierte und Motivierte streben nach der Gesellenprüfung ihren Meistertitel an und schaffen somit die Basis für eine erfolgreiche Zukunft. Der Einstieg erfolgt über die drei- bis vierjährige Berufsausbildung. Währenddessen besteht die Möglichkeit das „BerufsAbitur“ zu absolvieren, man bewältigt in 4 Jahren zwei Abschlüsse, den Gesellenabschluss und das Abitur. Nach drei Jahren ist der Gesellenabschluss und die Fachhochschulreife möglich. Einen intensiven Einstieg in das Handwerk bietet der triale Studiengang „Handwerksmanagement“ (B.A.). (Fach-)Abiturienten haben hier die Möglichkeit, neben einer betrieblichen Ausbildung gleichzeitig die Weiterqualifizierung zum Handwerksmeister und das Studium zum Bachelor Handwerksmanagement in nur viereinhalb Jahren abzuschließen. Nach dem klassischen Gesellenabschluss eröffnen sich eine Vielzahl von Weiterbildungsmöglichkeiten.

In welchen Berufszweigen liegen aktuell die größten Chancen für Berufseinsteiger?

Gerade die klimarelevanten Berufe stehen für ausgezeichnete Karriere- und Entwicklungsperspektiven. Hier können junge Menschen an zukunftsgestaltenden Aufgaben an vorderster Stelle mitwirken. Denn das Handwerk ist schon jetzt ein entscheidender Akteur, um Umwelt- und Klimaschutz voranzubringen und die Klimaschutzziele zu erreichen. Rund 30 Gewerke arbeiten täglich in fast allen Bereichen an der Energiewende mit. Mit Blick auf die Zukunft wird auch der Bereich Smart-Home und E-Mobility immer stärker werden.

Der Frauenanteil im Handwerk liegt weiterhin bei einer Minderheit. In welchen Berufsfeldern sehen Sie Potentiale für Frauen?

Frauen finden sich in allen 130 Handwerksberufen, allerdings immer noch deutlich häufiger in kreativen und dienstleistungsnahen Gewerken, wie im Maß – schneider- oder im Gesundheitshandwerk. Dabei eröffnen sich für Frauen in allen Bereichen zukunftsträchtige Perspektiven. Mit dem digitalen Wandel werden die körperlichen Belastungen geringer, zugleich steigen die Chancen, mit neuen Ideen für frischen Wind zu sorgen. Wir wollen Frauen ermutigen und ihnen aufzeigen, dass sie überall im Handwerk erfolgreich sein können. Und wir wollen sie darin bestärken, einen Betrieb zu übernehmen und zu führen. Momentan schöpfen Frauen ihr Potential noch nicht in allen Gewerken aus. Wenn wir das ändern wollen, müssen wir Mädchen stärker ermutigen, ihre Berufswahl jenseits starrer Rollenmuster zu treffen und schon in der Berufsorientierung damit beginnen, diese Rollenbilder aufzubrechen.

Sie sind gelernter Maler und Lackierer. Nach Erwerb des Meistertitels übernahmen Sie den elterlichen Betrieb. Wie hat diese Entscheidung Ihre Laufbahn geprägt?

Es hat mir damals schon gezeigt, wie sehr das Handwerk zusammenhält und welche Möglichkeiten es für einen bereit hält. Ich konnte seinerzeit – aufgrund der besonderen familiären Situation – meine Ausbildungszeit verkürzen und sofort im Anschluss meine Meisterausbildung absolvieren. Die Entscheidung mein Architekturstudium abzubrechen, habe ich nie bereut. Ganz im Gegenteil: Mit 21 Jahren war ich mein eigener Chef, hatte Verantwortung und konnte gestalten. In welch anderem Wirtschaftszweig geht das schon?

Hürth ist Ihre Heimatstadt. Verraten Sie uns Ihren Lieblingsplatz?

Ich habe sogar zwei Lieblingsplätze. Der erste befindet sich im kleinen Wäldchen des Hürther Bergs, an der Ecke Luxemburger/Trierer Straße. Der dortige Blick über meine Heimatstadt und Köln ist phänomenal. Das gleiche gilt für ein kleines Areal in Kendenich, unterhalb der Burg. Auch dort verweile ich bei Spaziergängen gerne länger und genieße die Ruhe.