Ein Jahr danach – Erftstadt erinnert an die Flut

Mit Gedenkveranstaltungen und Dankeschön-Treffen gab es unterschiedliche Events, um an die Erlebnisse aus dem Juli 2021 zu erinnern. Auch Helfer kamen zurück, um die betroffenen Ortsteile zu besuchen.

von Philipp Wasmund

In Bliesheim trifft man sich dort, wo vor einem Jahr Helfer und Betroffene zusammenkamen: an der Feuerwache. „Eigentlich wollen wir gar nicht an die Flut erinnern. Wir wollen in den Vordergrund bringen, wie der Zusammenhalt die Tage später war“, sagt Ortsbürgermeister Frank Jüssen. „Wir sind hier ja ganz auf uns alleine gestellt gewesen.“ Zum Glück kam dann auch nach Bliesheim unzählige Freiwillige aus dem ganzen Bundesgebiet. Nun gibt es kostenlos Würstchen und Getränke von der Dorfgemeinschaft. So viele, wie geholfen haben, sind bei Weitem nicht gekommen. An den Tischen ist es gesellig, doch immer wieder wird die Flutkatastrophe angesprochen. Auf dem Platz präsentiert sich der Verein „Hochwasser Kompetenz Centrum“ und erklärt, wie man sich schützen kann. Silvia Schmitz-Lindemann, designierte Jungfrau im Bliesheimer Damendreigestirn, gibt zu: „Ich fühle mich nicht mehr sicher. Man steht nachts auf, guckt nach, ob es regnet.“ Sieht sie die Bilder aus dem vergangenen Jahr im Fernsehen, kämen ihr häufig die Tränen. „Die Erinnerung an die Hilfeschreie sind noch sehr präsent. Ich habe vor Augen, wie nur noch die Köpfe der Pferde aus dem Wasser schauten, die versuchten sich zu retten.“ Das Zusammensein an diesem Tag helfe: „So kann man sich ablenken, es verarbeiten.“ Dirk Pretorius denkt an die Starkregen vor Kurzem: „Da hatten wir wieder Wasser im Keller. Da wirst du nervös.“ An der Theke stehen Dirk und Saskia Küppers aus Duisburg. Vater und Tochter, die vor einem Jahr sofort herkamen, um zu helfen. „Dabei waren wir selbst in der Erntezeit“, sagt der Landwirt. Insgesamt acht Tage waren sie im Flutgebiet im Einsatz, auch in Blessem und an der Ahr. „Es war das Schrecklichste und das Schönste, was ich erlebt habe“, sagt Saskia, die damals Sommerferien hatte und sofort bereit war mitzufahren in das ihr fremde Erftstadt. „Man hat angepackt, aber auch einfach Menschen in den Arm genommen. Es war eine tolle Zwischenmenschlichkeit.“ Es gab so viel zu tun, dass die Arbeit nicht endete. „Ich bin es gewohnt hart zu arbeiten, aber es hat ganz andere Kräfte freigesetzt, das gemeinsam zu machen“, sagt Dirk Küppers.

Kräfte freigesetzt

In Friesheim hat der Junggesellenverein den „längsten Tisch“ aufgestellt an der Stelle, wo die meisten Menschen vom Hochwasser betroffen waren. „Gewisse Dinge kann man nur gemeinsam schaffen“, sagt Vereinsvorsitzender Andreas Pätz. „Die Katastrophe hat auch aufgezeigt, dass Dörfer eben doch noch funktionieren.“ Aylin Beckers ist mit ihrem Vater Stefan ebenfalls beim Fest dabei. „Ich bin froh, dass man so zusammengearbeitet hat. Anfangs war da ja Verzweiflung, wo will man anfangen.“ Auch Gert Löhnert hat hier Platz genommen. „Ich dachte, ich bin so ein Fels in der Brandung, dem nichts etwas anhaben kann“, sagt er ernst. Obwohl der Schaden in seinem Haus vergleichsweise gering gewesen sei, haben ihn die Erlebnisse mitgenommen. „Da geht doch einiges im Unterbewusstsein ab, man träumt schlecht.“ Das Fest helfe „die Sache zu verarbeiten“. Da in Friesheim auch weite Teile des Dorfes nicht betroffen waren, konnten sich die Friesheimer vor allem gegenseitig unterstützen. Helmut Hiller erinnert sich gut an den Moment, als die Flut kam. „Jemand kam vorbei und sagte: Zieht euch warm an, da hinten kommt die rote Suppe.“ Hiller zeigt auf den Boden. „Wo wir hier stehen und feiern, da war das Wasser so hoch, dass du in Spitzenzeiten mitgerissen worden wärst.“ Tagelang seien die Pumpen gelaufen, um das Schlimmste in seinem Haus zu verhindern. „Elf Wochen dauerte die Trocknung der Räume“. Er sei dankbar, dass innerhalb kürzester Zeit Freiwillige gekommen seien, um zu helfen. Um solchen Menschen zu danken, hat Dirk Filz aus Ahrem mit Freunden ein Denkmal geschaffen. „Es ist rostbraun, wie das Wasser des Rotbachs an dem Tag, die Steine darunter symbolisieren die Erft.“ Das Denkmal hat die Form einer Tür. Denn eine herrenlose Tür wurde vor einem Jahr hier als „schwarzes Brett“ genutzt. Hilfegesuche und Hilfeangebote wurden darauf verzeichnet. Auf dem Kunstwerk sind die Erft, Rotbach und Mühlengraben dargestellt. Auch alle anderen betroffenen Ortsteile werden erwähnt. Gekommen sind zur Einsegnung durch Pastor Kippels und feierlichen Einweihung des Platzes zahlreiche Ahremer. „Wir wollten eigentlich mit den Nachbarn daran erinnern, aber haben uns dann hier angeschlossen“, sagt Anwohner Frank Gliedner. Bei Nachbarin Viviane Vogt kommen viele Erinnerungen hoch. „Wir haben an diesen Tagen auf der Straße mit anderen zusammen gefrühstückt. Da sind Freundschaften entstanden.“ Ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl, das aber über die negativen Seiten nicht hinwegtäuschen kann. „Erschreckend war, als am Samstag die Feuerwehr kam und irritiert war, dass wir hier noch Strom hatten. Dann weckten wir die Kinder, mussten aus dem Haus, bis er abgestellt war“, berichtet Gliedner. Auch Stefanie Kemmerlich muss an einige Momente zurückdenken. „Man hat ja mit dem Ausmaß nicht gerechnet, hat noch Sachen quasi ein Regalbrett höher gestellt.“ Dabei liefen auch in Ahrem mindestens die Keller voll. „Ich empfand das als Apokalypse.“ Im Ort hat sich seitdem schon einiges getan, berichten die Bewohner. Möglich wurde das durch die vielen Freiwilligen, die in kürzester Zeit kamen und anpackten. „Alle Helfer waren Helden“, sagt Ortsbürgermeisterin Tanja Gietzen. Der Sportplatz ist dagegen noch nicht wieder hergerichtet. Auch Viviane Vogt kann nicht nur Positives erzählen. „Ich bin versichert, aber habe erst ein Viertel meiner Kosten ersetzt bekommen.“ Sie solle vier bis fünf Kostenvoranschläge einreichen, aber das sei nicht möglich. An der Feuerwache in Liblar begrüßt in einer Gedenkveranstaltung Bürgermeisterin Carolin Weitzel Innenminister Reul und Bauministerin Scharrenbach. Reul zeigt sich selbstkritisch: „Offensichtlich war man nicht gut genug vorbereitet.“ Weitzel mahnt, dass Katastrophen immerhin zum Umdenken und zur „notwendigen Wende“ von bestehenden Konzepten werden müssen. Sie betont die besondere Leistung der Helfer. „Sie haben unser aller Dank, Respekt und Achtung verdient. Das war keine Selbstverständlichkeit.“ Auch die großzügige Spendenbereitschaft und die Anteilnahme vieler sei „Balsam für unsere Seelen“ gewesen. Dies werde man nicht vergessen. Vertreter aller Löschgruppen aus Erftstadt wurden für ihren Einsatz ausgezeichnet.