Edina Müller – mit Kind und Kajak zu den Paralympics

Seit ihrem 16. Lebensjahr ist die gebürtige Rheinländerin querschnittsgelähmt. Nach erfolgreicher Karriere im Rollstuhlbasketball tauscht sie Ball gegen Paddel und wechselt zum Kanusport. Stadtmagazine-Redakteurin Heike Breuers sprach mit der sympathischen Parakanutin anlässlich der Spiele in Tokio.

von Heike Breuers

Was hat sie trotz Querschnittslähmung zu einer Profisportkarriere motiviert?

Das ist ein Prozess und die Ziele entwickeln sich sukzessiv. Ich war schon immer sport-affin, kam ursprünglich aus dem Volleyball und habe eine neue Sportart gesucht, die mich wieder begeistert. Nach und nach öffneten sich neue Türen, erst die Rollstuhlbasketball-Bundesliga, die ersten Einsätze für das Nationalteam und dann war der Traum Paralympics greifbar da.

Wie sah die Vorbereitung zu ihren vierten Paralympics unter den erschwerten Corona-Bedingungen aus?

Zu Beginn der Pandemie durften wir gar nicht aufs Wasser. Also mussten wir uns mit Kraft- und Ergometertraining behelfen. Immerhin konnten wir unser Trainingslager im Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für Deutschland in Kienbaum nahe Berlin absolvieren. Die mentale Belastung war die ganze Zeit hoch, immer schwang eine gewisse Unsicherheit mit. Können wir weiter trainieren, finden die Spiele überhaupt statt? Mitte August dann noch die Deutsche Meisterschaft, kurz darauf 10 Tage an einen Trainingsspot anderthalb Flugstunden von Tokio entfernt. Sieben Tage vor Wettkampfbeginn durften wir ins Paralympische Dorf einziehen. Mein Sohn durfte leider nicht mit, deswegen übernachten wir im Hotel.

Welche Chancen räumen sie sich um den Rang der Medaillen ein?

In diesem Jahr ist es schwierig eine Prognose abzugeben und sich selbst einzuschätzen. Durch den härteren Winter konnten wir lange gar nicht aufs Wasser, dann die Entscheidung, dass unser Team nicht zu einem Warmwasserlehrgang fliegt. Dadurch fehlen mir viele Paddelkilometer und die typische Grundlage, die man den Winter über aufbaut. Viele Wettkämpfe sind ausgefallen oder wir oder unsere Gegner haben nicht teilgenommen. Da fehlt die Wettkampferfahrung und die Stärke der anderen Athleten ist schwer einschätzbar. Ich konnte einiges aufholen und fühle mich fit, aber wofür es dann reicht wird sich zeigen.

Tokio „2020“ findet ohne Zuschauer statt. Welche Rolle spielt das für sie?

Gerade bei den Paralympics sind die vielen Zuschauer natürlich ein Highlight, aber ich persönlich bin einfach froh, dass die Spiele überhaupt stattfinden. Es geht um mehr als einen Wettkampf, wir vertreten die olympische und paralympische Idee und Werte, die es gerade in Krisen zu verteidigen gilt. Ich hoffe, dass die gemeinsame Begeisterung für den Sport wieder zusammenschweißt und unser olympischer und paralympischer Funke überspringt. Ich denke, das ist in diesen Zeiten wichtiger denn je. Wir haben tolle olympische Momente erlebt, ich finde, das macht Hoffnung auf ebenso tolle Paralympische Spiele.

Sie sind in Brühl geboren und aufgewachsen, heute leben sie in Hamburg. Was vermissen sie an ihrer Heimat?

Ich fühle mich sehr wohl in Hamburg, aber Brühl ist immer „nach Hause“ kommen. Da meine Mutter noch in Brühl wohnt, bin ich häufiger dort. Ich liebe den Schlosspark und den Stadtkern.

Die Hochwasserkatastrophe hat ihre Heimatregion stark getroffen. Was geht ihnen dabei durch den Kopf?

Die Katastrophe hat mich sehr betroffen gemacht. Ich denke, das Gefühl ist noch erschreckender, wenn man einen Bezug zu der Region hat, wenn man überflutete Straßen sieht, durch die man selbst gegangen ist.

Wie vereinbaren sie Familie, neuerdings auch Beruf und Spitzensport?

Es ist eine große organisatorische Herausforderung, aber wir sind ein gutes und eingespieltes Team. Ich bekomme viel Unterstützung durch meinen Partner, meine Mutter, meine Trainer, meinen Arbeitgeber und meine Sponsoren und Förderer. Leider gibt es kaum finanzielle Hilfen, ich muss einen erheblichen Anteil zu den anfallenden Saison-Kosten selbst beitragen. Nach wie vor müssen wir gegen antiquierte Ansichten kämpfen. Ich hoffe, dass sich zukünftig für Mütter und Familien im Leistungssport einiges ändert.

Wann dürfen wir ihnen die Daumen drücken?

Für die Paralympischen Sportler gibt es nur die 200 Meter Strecke im Einer Kajak. Dort starte ich in der Startklasse Kl1. Mein Vorlauf findet am 2. September statt, Halbfinale und hoffentlich Finale am 4. September.