Die Flut 2021 in Erftstadt – ein Jahr danach

Am 14. und 15. Juli brach eine Katastrophe über die Stadt herein, die noch lange nachwirken wird. Familien verloren ihr Zuhause für immer, viele beklagten zerstörte Wohnungen und verlorene Habseligkeiten. Nur durch Glück sind an den beiden Tagen keine Menschenleben zu beklagen. Viele fragen sich bis heute: Wie konnte es dazu kommen und wie kann eine Katastrophe wie diese in Zukunft verhindert werden?

von Philipp Wasmund

Vier junge Männer kommen dieser Tage zurück nach Erftstadt. Kennengelernt haben sie sich vor einem Jahr als „Fluthelfer“, wie sie nicht ohne Stolz auf ihre Shirts geschrieben haben. Sie kommen aus Köln, aus der Nähe von Freiburg, aus Hameln und Hürth. „Wenn man durch die Straßen jetzt läuft, hat man wieder Gänsehaut. Man hat die Bilder wieder vor Augen“, sagt Danny Eilrich. Er ist gebürtiger Sachse, erlebte selbst Hochwasser in seiner Heimat. „Damals kamen viele aus NRW, um uns zu helfen, also kam ich nach Erftstadt und Bad Münstereifel, als ich das alles im Fernsehen gesehen habe.“ Kevin Frohloff nickt: „Vor Ort entstand eine unglaubliche Solidarität. Es gab kein Alt und Jung mehr, es gab keine Vorurteile mehr.“ Wochenlang wuchsen die Berge mit Müll vor den betroffenen Ortsteilen. Oft durch Ehrenamtler aus den Dörfern herausgeschafft, ohne Rücksicht auf die Zeit und das Geld, das sie dabei investierten. „Irre, was Privatpersonen bewegt haben, einfach so“, betont Florian Simon. In die Millionen gehen die Kosten für die Entsorgung durch die Stadt mit Unterstützung des Kreises. Es sind die positiven Erlebnisse, als Tausende nach Erftstadt kamen, um zerstörtes Wohneigentum aufzuräumen. Aber auch ein Gedanke kommt Danny Eilrich: „Man sieht, beim Thema Umweltschutz ist in den letzten Jahrzehnten einiges schiefgegangen. Dafür haben wir Jüngeren besonders einen Blick. Es geht ja um unsere Zukunft.“ Die Flut in Erftstadt wurde für viele ein Symbol für Probleme, die nicht mehr zu ignorieren sind. So berichteten selbst asiatische Zeitungen von den Schicksalen der Menschen in Erftstadt. Trafen diese, als alles ausgeräumt, Wandputz abgeschlagen und Räume getrocknet wurden. Auch auf der Titelseite der „New York Times“ sah man schließlich das inzwischen berühmt gewordene Foto von Blessem. Die sogenannte rückschreitende Erosion, die wie eine monströse Hand von der Kiesgrube ausgehend, das Dorf angriff und Häuser in die Tiefe riss. Weltweite Aufmerksamkeit Blessemer berichten, wie in der Nacht ein gurgelnd lauter Strudel hinter der Burg entstand. Während andere im Ort schliefen oder mit Eimern das Haus vom Wasser befreiten, ging dort die Welt quasi unter. Menschen gingen die Treppe hinab und sahen plötzlich ins Nichts. Sie wurden beim Verlassen der Häuser von den Füßen gerissen, konnten sich nur durch mutigen Einsatz von Nachbarn retten. Es hätte nicht viel gefehlt, dass sie im Strudel oder im eigenen Auto ertrunken wären. Experte Professor Benner, beauftragt von der Stadt Erftstadt, stellte in seinem Gutachten fest, dass bereits vor mindestens zehn Jahren Mängel bei der Sicherheit der Grube nachgewiesen wurden. Inzwischen haben sich Betreiber und Eigentümer auf eine Einstellung des Betriebs geeinigt. Über viele Jahre soll nun das Loch verfüllt werden und ein Restsee entstehen. Wo Häuser in den Abgrund gerissen wurden, darf nicht mehr gebaut werden. Noch vor Kurzem mussten weitere Anwohner von ihrem Heim Abschied nehmen. Das Wasser, vor allem verunreinigt durch Öl, hat die Gebäudesubstanz so beschädigt, dass ein Abriss unausweichlich ist. Die Erlebnisse machen die Anwohner betroffen, manche haben auch alles verkauft oder die Wohnung gekündigt. Sie wollen nicht mehr hier bleiben. In vielen Ortsteilen haben sich Bürgerinitiativen gegründet, sprach man mit Experten und der Politik. Zusammengeschlossen haben sich einige in der Hochwasser Initiative Erftstadt (HIE), die dieser Tage zur Pressekonferenz mit der Stadtverwaltung und dem Erftverband einlud. Für die Verbesserung des Hochwasserschutzes hat der Erftverband einen „Runden Tisch“ der Städte gegründet. Bis zu fünfzig neue Rückhaltebecken sollen von der Quelle bis zur Mündung der Erft entstehen. Ein Projekt, das mindestens zwanzig Jahre in Anspruch nehmen wird. „Und dass sich nach dem Bau niemand mehr Sorgen machen muss, das wird uns nicht gelingen“, gab Dr. Christian Gattke, Abteilungsleiter Flussbewirtschaftung beim Erftverband zu. Es könne nur ein Teil des Hochwasserschutzes sein, um den sich auch jeder Einzelne kümmern müsse. Er hoffe auf die gesamtgesellschaftliche Unterstützung, aber warnte auch vor dem Vergessen: „Es gibt so etwas wie Hochwasserdemenz.“ Jens Hoffesommer, Leiter des städtischen Umweltamtes, glaubt aber, ein Umdenken an vielen Stellen erkannt zu haben. „Bei der Ausweisung neuer Bebauungsflächen wird die Stadt sicher nun genauer hinschauen, damit das Wasser mehr Platz hat.“ Die Renaturierung von Erft und Rotbach sei in Planung. Das erosierte Gebiet der Katastrophe an der Kiesgrube soll als „Sekundäraue“ ebenfalls Wasser aufnehmen können, um damit Ortsteile unterhalb von Blessem besser zu schützen, erklärte Dirk Schulz, neuer technischer Beigeordneter der Stadt Erftstadt. Die HIE und die Stadt haben zudem einen Fragebogen erarbeitet, um herauszufinden, welche Ereignisse jeweils zu den immensen Schäden geführt hatten. So könne nachgebessert werden, wo vor allem der Starkregen für Überflutungen sorgte. Dafür müssten aber noch mehr Erftstädter sich an der Fragebogenaktion beteiligen. Gleichsam mahnt der Sprecher der Bürgerinitiative, Ulrich Eckhoff, mehr Beteiligungsformate durch die Kommune und den Erftverband an. „Wir drängeln, dass über die Fortschritte regelmäßige berichtet wird.“ Auch sollen Pläne schneller umgesetzt werden. Dirk Schulz stimmt zu, dass man in der Kommunikation besser werden müsse. Nach den Sommerferien solle das städtische Hochwasserschutzkonzept vorgestellt werden. Auch der Erftverband plant Informationsveranstaltungen in allen Städten entlang der Erft. Zahlreiche Gruppen haben derweil angekündigt, im Sommer ihren Helfern zu danken und an die Geschehnisse vor einem Jahr zu erinnern.