„Das Kabarett hält mich jung und fit“

Jürgen Becker will auch mit 80 Jahren noch auftreten

Da steht 1986 ein cooler Typ mit Irokesen-Frisur in der Mitte seines Elferrates, macht bitterböse Gags und lacht doch stets freundlich dabei: Jürgen Becker, damals 26 Jahre alt und Präsident der Stunksitzung. Lang, lang ist’s her. Heute sind die Haare silbergrau geworden, und aus dem Kölner Anarcho-Karnevalisten wurde einer der besten Kabarettisten Deutschlands. Wir haben ihn getroffen.

von Christof Ernst

Becker (63) musste ebenso wie seine Kolleginnen und Kollegen der Pandemie Tribut zollen und hatte in den letzten Monaten nur reduziert Auftritte. Der in der Kölner Südstadt lebende Kabarettist nutzte die Zeit und schrieb ein Buch: „Die Zukunft war auch schonmal besser“. Es ist also ein Blick nach vorne, der wenig Gutes verheißt. „Es gibt Krieg mitten in Europa“, sagt Jürgen Becker. Und in Richtung Wladimir Putin: „Dabei dachten wir doch, das sei endgültig vorbei. Man kann doch nicht einfach ein anderes Land überfallen.“ Er fügt mit typischer Becker-Ironie hinzu: „Wir lassen ja auch keine Soldaten ins Elsass einmarschieren, und Macron will das Saarland nicht annektieren – obwohl einige Deutschen sagen werden (lacht): ,Ist okay, könnt ihr gerne haben‘.“ „Meine Generation hat Glück gehabt“ Becker meint, als Angehöriger seines Jahrganges müsse man mit der aktuellen Situation erst einmal klarkommen: „Menschen meines Alters hatten unglaubliches Glück mit dem Ort und dem Zeitpunkt unserer Geburt.“ Stimmt: Fast 80 Jahre ohne Krieg und Leid, das gab es in der deutschen Geschichte noch nie. Aktuell sei die Situation so dramatisch wie lange nicht, auch in unserer Gesellschaft. Becker: „Wir drohen, in eine Schieflage zu geraten, weil viele Menschen sich demnächst nicht mehr das Leben leisten können, das sie sich wünschen. Und warum? Weil die Gesellschaft nicht solidarisch genug ist. Deshalb fordere ich von der Politik: Ich will mehr Steuern zahlen.“ Das meint der sonst so lustige Kabarettist durchaus ernst. Das Ziel müsse ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent sein. „Das gab es sogar schon unter Helmut Kohl, und da müssen wir wieder hin.“ Zur Überraschung vieler gab Jürgen Becker 2020 die Präsentation der „Mitternachtsspitzen“ im WDRFernsehen auf – nach 28 Jahren. Wie er im Gespräch mit dem Stadtmagazin verrät, geschah das aus Solidarität mit seinen Co-Moderatoren Wilfried Schmickler und Uwe Lyko alias Herbert Knebel. Beide waren damals 65 Jahre alt. Der WDR wollte die Sendung verjüngen, bot aber Becker an, weiterzumachen. Nicht mit ihm: Wir haben zusammen angefangen, also hören wir auch zusammen auf. Ohne die beiden wäre ich nicht glücklich geworden. So war das ein sauberer Schluss.“ Die Kölner Stadtverwaltung lässt ihn verzweifeln Nach den „Mitternachtsspitzen“ und den zwei Jahren PandemiePause startet er wieder durch, geht im Herbst auf Tour. Gerade in diesen Zeiten sei Kabarett so wichtig wie lange nicht, sagt Becker. Einer, der es besonders gut mache, sei Jan Böhmermann: „Der macht das super, und ich bin sehr glücklich

darüber, dass es so einen gibt. Da muss man auch das ZDF loben, das ihm einen tollen Background schafft.“ Er selbst wolle so lange auftreten, wie man ihn wolle. Da hält er es mit seinem Vorbild Dieter Hildebrandt: „Der stand auch mit 80 Jahren noch auf der Bühne.“ Der in der Südstadt lebende Becker und Köln – das ist eine widersprüchliche Angelegenheit: Einerseits liebt er die Stadt, aber an deren Bürokratie droht er mitunter zu verzweifeln. Beckers letzter Aufreger war der Streit um die Gaststätte „Torburg“. Dort hatte das Ordnungsamt die Spannweite der Sonnenschirme in der Außengastronomie kritisiert. Beckers Kommentar über die Kölner Stadtverwaltung ist aller Kabarettisten-Ehre würdig: „Die Briten haben Köln im Zweiten Weltkrieg so lange bombardiert, bis nix mehr funktioniert hat, und dann haben sie uns geholfen eine Stadtverwaltung aufzubauen, damit das garantiert auch so bleibt.“