Das Erftstadt Magazin wird 25

Von Menschen und ihren Geschichten

In dreihundert Ausgaben seit 25 Jahren erzählte das Erftstadt Magazin tausende Geschichten aus unserer Stadt. Zuverlässig berichtet das Stadtmagazin von aktuellen Veranstaltungen und Projekten. Doch das besondere Augenmerk liegt auf den Menschen hier. Immer wieder ist es spannend zu berichten, was hier im Kleinen Großes passiert.

von Philipp Wasmund

Es ist die Vielfalt der Erlebnisse, die es bis heute spannend macht, immer wieder mit Menschen in Kontakt zu treten, die uns teilhaben lassen an ihrem Leben. Anders als die „Sternchen“ des Boulevards, berichten sie von echter Leidenschaft für ihre Themen. Herausragend war sicher die Begegnung mit Herbert Feuerstein, der vor einigen Jahren nach Niederberg zog. Charmant, immer mit einem Scherz auf den Lippen, hatten wir ein ausgiebiges Gespräch über sein „Ruhestandsidyll“, bei dem er fröhlich zugab, er würde zwar viel in der Natur unterwegs sein: „In Bliesheim oder Lechenich würde ich mich aber verirren.“ Einblicke in den Beruf als Unterhalter, seine Leidenschaft für die Musik und Scherze über die Gartenarbeit machten den Besuch zu einem überaus angenehmen Nachmittag.

Immer wieder zieht es Künstler nach Erftstadt, die Nähe zur Medienstadt Köln und die Unaufgeregtheit des Lebens hier zieht sie an.

Da ist auch Ulrich Harbecke zu nennen, der im Gespräch von seinem Coup als WDR-Redakteur berichtete. Ende der 90er Jahre vermeldete er, eine bisher unbekannte Messe des Komponisten Franz Schubert entdeckt zu haben. Sie wird schließlich mit großem Orchester und Chor vor 700 Gästen uraufgeführt und die Begeisterung ist groß. Auch weil Schuberts Original-Noten zum Beweis ausgestellt werden. „Da dachten manche, das wäre eine Weltstunde der Musik“, erzählt er schelmisch. „Ein Zuschauer sprach mich sogar an, er wolle die Musik auf seinem Sterbebett hören.“ Aber die Messe war vom Lechenicher im Stil des berühmten Komponisten neu erdacht. Der Scherz ist heute weithin vergessen, inzwischen wird die Messe als „Missa romantica“ europaweit aber immer wieder aufgeführt.

Benyamin Nuss ist in Erftstadt aufgewachsen und nun ein echter Weltbürger geworden. Konzerte, bei denen Nuss die durchaus anspruchsvollen Kompositionen aus dem Videospiel „Final Fantasy“ spielt, haben ihm Fans und Auftritte in Japan und Singapur, in den USA und Kanada ermöglicht. Doch nicht nur Konzerte mit großem Orchester, auch im Jazz ist Benyamin Nuss anerkannt und genauso kann man ihn erleben, wenn er Meister der Klassik darbietet.

Weltrekord

Trifft man im einen Moment das, was viele auch heute noch „Hochkultur“ nennen, kann hinter dem nächsten Termin im Kalender schon wie der eine ganz andere Welt warten. So geschehen beim Treffen mit Silvia Hauten. Sie war Miss Tuning und Vize-Playmate des Jahres des deutschen „Playboy“, die großen Wert auf ihre Bodenständigkeit legt und in Erftstadt aufgewachsen ist. „Es war immer klar, dass ich hier wohnen bleibe“, erzählte sie vor einigen Jahren. Und sie berichtete davon, dass mit einem sexy Image auch Probleme entstehen können. „Es ist schon so, dass einem oft nicht so viel zugetraut wird. Viele denken, man habe nichts im Kopf.“ Dabei ist Silvia Hauten gelernte Bauzeichnerin.

Ganz anders, doch mindestens genauso spannend verlief ein Termin mit den Schwitzhütten- und Tipifreunden. Sie haben sich ganz nach indianischem Vorbild der Spiritualität verschrieben. Im Tipi nach Originalvorbild sorgen heiße Steine für eine besondere Hitze. Mit Ritualleiter Franz Fassbender wurden in der Runde neue Kräfte gesammelt. „Es geht um Klarheit und Emotionen. Es hat schon ein bisschen was von einer Kirche“, erzählte er über die Treffen am Feuer. Dabei war den Teilnehmern sehr wichtig, keinen „Exotismus“ zu betreiben. „Indianerkleidung“ a la Winnetou wurde nicht getragen.

Ein Grenzgänger ist auch Richard Flohr-Swann. Der Liblarer kann rund dreißig Rekorde für sich reklamieren. Er hält immer noch den Rekord für die schnellste Atlantiküberquerung mit einem Kleinflugzeug. Im Gespräch erzählte er, wie es ihn von klein auf in die Welt zog, doch die familiären Bindungen es verhinderten daraus einen Beruf zu machen. Stattdessen blieb er im elterlichen Betrieb. Seinen Wunsch nach Abenteuern ließ er sich aber nicht nehmen. Er flog durch Afrika, nach Island und durch die USA. Er genoss den Blick auf den Grand Canyon und schwärmt bis heute für die Fliegerei über die Alpen in Frankreich und Deutschland. In Indien machte er etwas länger Halt und lebte dort fünf Jahre. Ein Höhenflugweltrekord wurde 1981 aufgestellt. Bis auf 10.281 Meter stieg er, der Rekord in dieser Fliegerklasse wurde erst zwanzig Jahre später gebrochen. Die Freiheit über den Wolken, das ist für Richard Flohr-Swann nicht nur eine Liedzeile gewesen.

Nichts darauf zu geben, was andere sagen, das haben einige Erftstädter immer wieder bewiesen. Sie trauten sich, Neues zu erleben. So wie Willi Boemer, langjähriger Erftstädter Bäckermeister, der mit über 70 Jahren als Seniorexperte durch die Welt reiste, um jungen Menschen aus Kasachstan oder Usbekistan deutsche Backkunst beizubringen. Dort kamen übrigens seine Berliner und Torten aus Nougat besonders gut an.

Der eigenen Leidenschaft folgend, wurde bis zur Pandemie auch das „Halloween-Haus“ in Kierdorf betrieben. Daniela Niederbauer hatte jedes Jahr ihr idyllisches Heim in einen Ort des Grauens verwandelt. Ein halbes Dutzend Gräber im Vorgarten, aus einem griff eine Hand, das war der erste Eindruck. Ein zerfranster blutiger Brustkorb baumelte an einem Baum. Die sterblichen Überreste eines Menschen wurden von einem Polizeiband umrundet. Liebevoll jedes Teil hergerichtet, ein großer Spaß für jeden, der Humor besitzt.

Der vergessene Ort

Die Besuche bei den Erftstädtern sorgten auch immer für einen großen Lerneffekt. Achim Raschka gehört zu den einflussreichsten und aktivsten Autoren der Wikipedia. Er berichtete von den Anfängen und der Entwicklung der bedeutenden OnlineEnzyklopädie.

Im Rahmen einer Ausstellung mit historischen Alltagsgegenständen in der evangelischen Kirche berichtete Berta Bußhaus aus ihrer Kindheit im Zweiten Weltkrieg. Sie hütete in ihrem Keller noch einen Schatz. Es war der kleine Koffer ihres Bruders, den er auf der Flucht benutzt hatte.

Ruth Fürchtner las aus einem Brief an Adolf Hitler vor, den sie als Kind schrieb: „Wie stolz dürfen wir auf dich und deine ewig treuen Soldaten sein, die alle Siege erringen… – da kann ich heute schon eher drüber lachen, wie man so als Kind diese Phrasen übernommen hat. Auch wie ich unterschrieben habe: von einem deutschen Mädel.“

Auch als vor einigen Jahren bei Bauarbeiten am Liblarer Stadtgarten drei „Ein-Mann-Bunker“ gefunden wurden, bekam man neue Einblicke in andere Zeiten. Nicht nur, dass es diese Art des Schutzes auf Erftstädter Gebiet gab, auch die Initiative des Bliesheimer „Rohmedräjer-Clubs“ ließ aufhorchen. Sie errichteten mit einem der Bunker eine Gedenkstätte am Bliesheimer Ortseingang. Hier war einst der „Lauerbusch“, ein kleines Viertel aus ehemaligen Wehrmachtsbaracken, in denen im Krieg Munition gelagert wurde. Später bauten sich über einhundert Menschen in den kleinen Häusern ein Idyll. Doch überall lag auch noch in den 1960ern Munition, wodurch ein Kind zu Tode kam. Danach wurden die Häuser abgerissen.

Überraschend ist auch mancher Besuch in den kleinen Ortsteilen. Die kleine Kirche St. Johannes Enthauptung in Niederberg stammt aus dem Jahr 1090. Der Raum hat die Aura einer ganz anderen Zeit und auch die Malereien mit christlichen Motiven, sie sind aus dem 16. Jahrhundert, dürften wohl jeden Besucher beeindrucken. Es gibt noch viele spannende Geschichten in Erftstadt. Von Schlagersängern und Romanautoren, von längst vergessenen Vereinigungen und von aktuellen Sportlerstars.

Zuletzt gewann Jonas Vieren von den Wasserportfreunden Liblar mit der deutschen Kanupolo-Nationalmannschaft die Goldmedaille.

Aber das ist wieder eine ganz neue Geschichte.