„Die Zeit für ein weibliches Dreigestirn wird kommen“

Interview mit dem scheidenden Festausschuss-Präsidenten Rainer Nieschalk

Wie bereits 2019 befindet sich der Festausschuss Brühler Karneval (FBK) in einer krisenhaften Situation. Trotz intensiver Suche konnte bisher kein Nachfolger für den verdienstvollen scheidenden Präsidenten Rainer Nieschalk und sein engagiertes Vorstandsteam gefunden werden. Der FBK-Präsident antwortet auf Fragen von Stadtmagazine-Redakteur Hans Peter Brodüffel.

Was hat Sie damals bewogen, das schwierige Amt des FBK-Präsidenten zu übernehmen?

Ich habe mich damals an meine‚ superjeile Zick‘ als Bauer im Dreigestirn 2002 erinnert und habe mir vor Augen geführt, was denn passieren würde, wenn es keine Zukunft für den Festausschuss gäbe. All das, was der Festausschuss organisiert, würde entfallen: Keine Proklamationen der kleinen und großen Tollitäten, kein Straßenkarneval, kein Elias. Ehrlich gesagt: Das konnte und wollte ich mir nicht vorstellen! Also habe ich der damaligen Findungsgruppe angeboten: „Bevor ihr keinen findet und der Bröhlsche Fasteleer in Gefahr ist, bemühe ich mich um einen neuen Vorstand mit mir als Präsident, aber nur für 1-2 Jahre, um jüngere Leute an Bord zu holen.“ Das mit dem neuen Vorstand ist mir erfreulicherweise schnell gelungen und Ende Juni 2019 wurde ich als Präsident des Festausschusses gewählt. Ich muss zugeben: Die Erinnerung an die damalige Situation berührt mich ziemlich, da sich der Festausschuss momentan in einer ähnlichen Situation wie 2019 befindet. Nach dem Scheitern der geplanten Vorstandsneuwahlen des Festausschusses im letzten Jahr bin ich nach Ablauf meiner gewählten Amtszeit im September letzten Jahres noch einmal eingesprungen, um den in Vorbereitung stehenden Brühler Tollitäten – unserem Kinderprinzenpaar sowie unserem Dreigestirn – IHRE ersehnte Session noch zu ermöglichen.

Was waren anfangs die größten Herausforderungen?

Mit einer Ausnahme hatten wir alle keinerlei Erfahrung, welche Aufgaben im Detail auf uns warteten. So rückte die kommende Session immer näher, die zwar grundsätzlich vorbereitet war (Tollitäten und Proklamationsprogramme standen fest), deren Detail-Arbeiten (Orden-Kreierung, Festhefterstellung, Veranstaltungs-Plakate, Gäste zu allen Veranstaltungen einladen, Kartenverkauf, Pflege des Internetauftritts, etc.) aber noch anstanden. Aber wir haben es mit viel Fleiß und Engagement geschafft. Doch leider ohne nachhaltige Wirkung, denn direkt nach unserer ersten verantworteten Session 2020 hatte uns das heimtückische Virus Corona aus der Bahn geworfen. Gesellschaftlich als auch karnevalistisch.

Welche positiven Erfahrungen konnten Sie machen?

Mir ging und geht jedes Mal das Herz auf, wenn ich sehe, wie viel Freude das Ausleben der alten Tradition Karneval so vielen Menschen bereitet. Strahlende Gesichter – gerade bei den Kindern in den Tanzgruppen nach einem erfolgreichen Auftritt – zählen für mich zu den schönsten Erfahrungen der letzten Jahre.

Was werten Sie im Rückblick als verbesserungswürdig?

Wie oft haben wir bei Mitgliederversammlungen oder Präsidentenrunden darüber gesprochen, dass aus den Vereinen jüngere Leute für die Arbeit im übergreifenden Festausschuss begeistert werden müssen. Und was hat sich daraus ergeben? Nichts. Es ist ja nachvollziehbar, dass das „Hemd näher als die Hose“ ist und dass es wichtig ist, auch alle Funktionen in den Vereinen personell abzudecken. Aber wenn von den Vereinen keine neuen Personen in die Dachorganisation des Brühler Karnevals entsendet werden, dann stirbt diese aus.

Wo sehen Sie die Chancen und Potenziale für die zukünftige Gestaltung des Brühler Karnevals?

Heute steht bei vielen Mitbürgern die „Ich-Fokussierung“ im Vordergrund. Unter diesen „Rahmenbedingungen“ ist eine Weiterentwicklung ehrenamtlichen Brauchtums ziemlich schwierig, wie wir an allen „Ecken und Kanten“ merken. Aber die zukünftige Gestaltung des Brühler Karnevals liegt ja nicht alleine im Fokus der ehrenamtlich Tätigen. Wenn diese tragende Säule der Vergangenheit heute nicht mehr ausreichend trägt,dann müssen andere her. Aus meiner Sicht müssten die Städte und Gemeinden als auch die Wirtschaftsverbände das höchste Interesse daran haben, dass die Vielzahl der mit dem Karneval verbundenen wirtschaftlichen Aspekte weiter bestehen bleiben.

Nicht wenige meinen, dass die Zeit für ein weibliches Dreigestirn gekommen ist…

Diese Aussage oder Fragestellung beschreibt exakt den ständigen Konkurrenzkampf zwischen „Traditionsbewahrung“ einerseits und „Berücksichtigung der gesellschaftlichen Entwicklung“ andererseits. Am deutlichsten wird diese allseits bekannte Diskrepanz wohl bei der katholischen Kirche. Und man bedenke: Der Karneval ist seit jeher primär in katholisch geprägten Regionen entstanden und bewahrt worden. Wie für jedes Brauchtum hat aus meiner Sicht auch für den Karneval die „Traditionsbewahrung“ einen sehr hohen Stellenwert. Die von vielen vertretene Logik „Ohne Traditionsbewahrung gäbe es schließlich ja gar kein Brauchtum“ ist ja auch nicht von der Hand zu weisen. Aber: Wie wir in Brühl ja bereits 2014 und 2019 erfahren haben, kann „Traditionsbewahrung“ nicht immer gelingen. Für die Session 2014 konnte gar kein Dreigestirn gefunden werden und in der Session 2019 hat eine einzelne Prinzessin (Franziska I.) ein zweites Fehlen eines traditionellen Dreigestirns „ausgebügelt“. Und das mit Bravour! Zudem hat es ja bereits in der Vergangenheit in Brühler Stadtteilen und im nahen Vorgebirge weibliche Dreigestirne gegeben. Wie bei vielen Wandlungsprozessen sind die Veränderungen am Anfang eher punktuell. So glaube ich, wird es auch der Entwicklung des Karnevals ergehen. Solange die Tradition des „klassischen Dreigestirns“ aufrecht erhalten werden kann, wird es schwer sein alternative Karnevals-Regentschaftsformen zu realisieren. Aber die Zeit für ein weibliches Dreigestirn wird auch für Brühl kommen. Da bin ich mir recht sicher.