Schock-Urteil – Dicke Luft durch das Diesel-Desaster

Auch sechs Wochen nach dem Diesel-Urteil des Verwaltungsgerichts Köln haben sich die Schockwellen
noch nicht gelegt. Betriebe und Pendler, die auf den Diesel vertrauten, fühlen sich betrogen, verschaukelt
und hintergangen. Besonders im Handwerk herrscht dicke Luft.
von Hans Peter Brodüffel
Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks in Berlin und der Handwerkskammer zu Köln, ist ein besonnener Mann. Doch angesichts des drohenden Dieselfahrverbots für Köln und Bonn ab dem 1. April 2019 fällt es ihm verständlicherweise schwer, seine Gefühle zu zügeln. „Ich bin sehr irritiert und sehr verärgert. Deutschland wird lahm gelegt. Die Gerichte machen Politik und die Politik ist nur noch der Steigbügelhalter für die Hinhaltetaktik der Autoindustrie. Ich bin viel im europäischen Ausland unterwegs. Dort schüttelt man über uns Deutsche inzwischen nur noch den Kopf“, wettert Wollseifer. Das Diesel- Chaos hätte man, so der Hürther, bereits vor drei Jahren vermeiden können. „Wir haben schon damals gesagt, dass Software-Updates nicht ausreichen und Hardware-Nachrüstungen notwendig sind.“ Was sich die Autoindustrie geleistet habe sei „höchst beschämend“, flankiert von einer Politik der Tatenlosigkeit. Die Zusagen von VW und Daimler, sich an der Finanzierung der Nachrüstung für ihre Kunden zu beteiligen, seien recht vage. „Wo bleiben die anderen Hersteller, insbesondere auch die internationalen Konzerne?“ Der Präsident des Handwerks begrüßt die Förderung von Nachrüstungen bei Nutzfahrzeugen zwischen 2,8 und 7,5 Tonnen durch den Bund. „Aber was passiert mit den vielen Fahrzeugen im Handwerk, die darunter oder darüber liegen?“ Der Verkehrsminister müsse nun endlich eine unbürokratische Nachrüstrichtlinie erlassen. Nur dann könnten die Nachrüster zum Kraftfahrtbundesamt und ihre Nachrüstsets zeitnah genehmigen lassen. Wollseifer fordert die Landesregierung auf, in Berufung zu gehen.

Umweltministerin: „Faktische Enteignung“

NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) kritisiert das Urteil als „faktische Enteignung“ von mehreren hunderttausend Dieselbesitzern in der Region Köln/Bonn, von Handwerkern und Pendlern. „Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, wir gehen in Berufung“ kündigt die Kölnerin an. Die Bezirksregierung Köln arbeite mit Hochdruck an der Fortschreibung des Luft reinhalteplans, der konkrete Ziele für die Schadstoffreduzierung festlegen soll. Bisher gibt es lediglich einen Entwurf. „Die Landesregierung unternimmt alles, um Fahrverbote zu vermeiden“, betont Heinen-Esser. Das Fahrverbot für Köln dürfte aber kaum abzuwenden sein. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat bereits grundlegend geurteilt, dass Fahrverbote zulässig sind und in Köln werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid an etlichen Stellen seit vielen Jahren stark überschritten. Das Leipziger Urteil sieht allerdings Ausnahmen für Handwerker vor. Die Stadt Köln weist darauf hin, dass Diesel-Fahrverbote schwer zu kontrollieren sind. Kölns Umweltdezernent Harald Rau hält inzwischen eine Kennzeichen-Erfassung für denkbar, bei der die Ordnungsbehörden das Kennzeichen in ein Datenlesegerät eingeben und so die Schadstoffklasse ermitteln. In Hamburg kostet ein Verstoß 25 Euro für PKW und 75 Euro für LKW, in Stuttgart einheitlich 80 Euro.

ADAC: 6d TEMP ist die richtige Wahl

Der ADAC Nordrhein rät Dieselbesitzern davon ab, nun übereilt ihre Fahrzeuge zu verkaufen. „Autofahrer sollten zunächst in Ruhe prüfen, inwieweit sie von Fahrverboten betroffen wären“, sagt Dr. Roman Suthold, Leiter Verkehr und Umwelt des ADAC in Köln. Wer bei einem Neuwagenkauf über einen Diesel nachdenkt, sollte einen PKW mit dem Abgasstandard Euro 6d TEMP wählen. Suthold: „Hier ist das Risiko gering, in den nächsten Jahren in Deutschland von innerstädtischen Fahrverboten betroffen zu sein.“