„Ich fotografiere gerne, was Menschen hinterlassen“ – Interview mit Dieter Nuhr

Dieter Nuhr ist Deutschlands bekanntester Satiriker. Weniger bekannt ist seine bildnerische Seite. Nach dem Kunststudium mit Schwerpunkt Malerei widmet er sich heute der konzeptionellen Fotografie. Auf Einladung des Brühler Kunstvereins zeigt der Kabarettist vom 19. Juni bis zum 7. Juli sein fotografisches Werk in Brühl. Stadtmagazine-Redakteur Hans Peter Brodüffel hat Dieter Nuhr zu seinem fotografischen Blick auf die Welt interviewt.

von Hans Peter Brodüffel

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Ich habe Kunst studiert, eigentlich Malerei, habe dann aber Bilder mit selbst gebauten Kameras erstellt. Fotos, die eigentlich abstrakt waren, Farbfeldbilder, so eine Art konkrete Fotomalerei … Daraus sind irgendwann Reisebilder geworden, die immer noch sehr malerisch sind, aber auf denen erkennbar ist, was abgebildet wird.

Sie reisen für Ihre Fotos um die ganze Welt. Was suchen Sie, wenn Sie in fremden Kulturen unterwegs sind?

Wenn ich das genau wüsste … Mich fasziniert Fremdheit, aber auch die Ruhe der Fotografie. In diesen Zeiten, in denen alles in Bewegung und hektisch und hysterisch ist, hat es ja fast schon etwas Subversives, Dinge festzuhalten, quasi einzufrieren, um sie in Ruhe anzuschauen. Mich interessiert vor allem das, was ich nicht ständig um mich rum habe, also das Fremde, das nicht Verständliche, das Unergründliche. Ich habe zum Beispiel auch gerne fremde Schriftzeichen in meinen Bildern, von denen ich gar nicht weiß, was sie bedeuten.

Uhren in Marokko, Türen in China, ein Sonnenschirm in Indien – offensichtlich sind Sie mehr an Gegenständen als an Menschen interessiert.

Ich bin ein großer Anhänger der Privatheit und der Höflichkeit. Und kein Voyeur. Ich finde Distanzlosigkeit unangenehm und halte deshalb gerne Abstand. Deshalb fotografiere ich gerne, was Menschen hinterlassen. Oft ermöglichen hinterlassene Dinge auch viel weitergehende Assoziationen als das Bild der Menschen selbst.

Sie waren mit ihrer Kamera auf fast allen Kontinenten. Welche Länder haben Sie besonders beeindruckt und warum?

Schwer zu sagen. Die Mischung ist gerade das Faszinierende, aber wenn ich sagen müsste, wohin ich am liebsten reise, dann komme ich immer wieder auf Asien, schon weil es dort in der Regel erheblich friedlicher zugeht als in anderen Erdteilen. In Afrika oder Südamerika sind die Menschen schneller mal gewalttätig, da wird man auch einmal massakriert, bloß weil man da ist. Das wird einem im Normalfall in Indien nicht passieren. Insofern ist Reisen dort einfach angenehmer.

Welches Selbstverständnis haben Sie als Fotograf?

Ich sehe mich eigentlich gar nicht als Fotograf, ich sehe mich als Bildermacher und benutze statt eines Pinsels eine Kamera. Die Bilder, die ich anstrebe, haben malerischen Charakter, es geht nicht nur um das Sichtbare, sondern auch um abstrakte Fragen, Aufteilung, Linien, Farben. Es geht mir darum, die Welt zu erleben, und Neues daraus zu schöpfen.

„Ein Foto war früher ein Festhalten. Heute ist es eher ein Statement“ schreiben Sie in Ihrem neuen Buch „Gut für Dich!“. Was meinen Sie damit?

Ein Bild ist, wenn es nicht gerade die typische Instagram-Fastfood-Ware ist, wie ein Relikt aus alten Zeiten, als man noch genug Ruhe hatte, um sich Dinge anzuschauen. Ein Foto versucht ja, das, was an einem vorbeirauscht, festzuhalten. Es reißt das Abgebildete aus der Zeit und sorgt dafür, dass der Zuschauer darüber entscheidet, wie lange er sich das Ganze anschaut. Es ist insofern ein subversiver Akt.

Gibt es für die Gestaltung eines guten Kabarettprogramms und für Fotokunst vergleichbare Voraussetzungen?

Wenn man es ganz abstrakt sieht, gibt es Ähnlichkeiten. Die Komposition muss stimmen, die Teile müssen aneinanderpassen, der Klang muss überzeugen. Und im besten Fall erscheint etwas, was man so noch nicht gesehen hat.

Vom 19. Juni bis zum 7. Juli zeigen Sie Ihre Bilder in der Max-Ernst-Stadt. Haben Sie einen Zugang zum Surrealismus von Brühls großem Sohn?

Sicher. In meinem Studium habe ich mich ja auch mit Kunstgeschichte beschäftigt. Für die meisten, die damals Kunst studiert haben, war der Surrealismus der Einstieg in die Kunst. Das Fantastische, das Verrückte, das Spleenige hatte schon damals etwas sehr Anziehendes.

Die Bilder von Dieter Nuhr

…sind vom 19. Juni bis zum 7. Juli in der Alten Schlosserei des Marienhospitals zu sehen.

Vernissage

Sonntag, 19. Juni, 12 Uhr