Ein neues Leben in Erftstadt

Seit 2017 lebt Rawaz Mariwan in Erftstadt. Der ausgebildete Schauspieler floh aus dem Irak über Griechenland nach Deutschland. In kurzer Zeit ist er fester Bestandteil der Erftstädter Kunst- und Kulturgemeinschaft geworden.

von Philipp Wasmund

Gespannt sitzt Rawaz Mariwan in seinem Zimmer im städtischen Übergangsheim in Erp. Er schaut nach, was sich in seiner Heimatstadt tut. Kikurk, eine Provinzhauptstadt im Norden des Irak, die einmal eine Million Einwohner hatte. Unverändert hoch sei die Gefahr für Leib und Leben, so schreibt es das Auswärtige Amt. Man solle die Gegend schnell verlassen oder nicht alleine betreten. Zwar sind die schlechten Nachrichten, zum Beispiel von Terroranschlägen, selten geworden. Die Region ist aber weiterhin zerrissen. Es geht um Öl, um Politik und Religion. „Sie planen dort gerade ein Festival mit moderner Kunst“, erklärt Rawaz Mariwan fast erstaunt. „Aber ich glaube noch nicht so recht daran, dass es auch stattfindet.“ Der 24-jährige hat vier Jahre „Darstellende Kunst“ studiert. Genau wie sein Vater wollte er kritische politische Stücke aufführen. „Ihm haben sie bei seinem letzten Projekt die Unterstützung entzogen. Er hat vier Monate mit 17 Schauspielern umsonst geprobt“, sagt er bedauernd. Der Vater hatte die Politiker zu deutlich kritisiert. Rawaz Mariwan ging, genau wie sein Bruder, der Sänger ist, einen Schritt weiter und griff auch religiöse Themen auf. „Das ist im Irak aber nicht gewünscht und sehr gefährlich“, sagt Rawaz Mariwan. Gläubig sei er nicht, das sei selbst für die Eltern nicht ganz so leicht. „In diesem Punkt verstehen wir uns nicht“, sagt er achselzuckend. Auch der Konflikt zwischen Türken und Kurden, er ist für den Schauspieler nicht nachzuvollziehen, obwohl auch er Erdogan kritisiert. „Aber Gewalt und Krieg, das ist nicht der richtige Weg. Da möchte ich nichts mit zu tun haben.“ Freunde und Bekannte machten es möglich, dass Rawaz Mariwan in die Türkei fliehen konnte, von dort ging es zu Fuß nach Griechenland und weiter nach Deutschland. Hier ist er seit 2017, lebte in mehreren Städten und ist inzwischen als Flüchtling in Erftstadt anerkannt.

Szenenapplaus

Im Rheinland hat sich Rawaz Mariwan gut eingelebt. Simon Hellmich ist in der Flüchtlingshilfe engagiert und in zahlreichen Kulturvereinen aktiv. „Als ich ihn kennengelernt habe, merkte ich sofort, dass er sehr offen ist.“ Hellmich lud ihn zum Buchprojekt des Fördereins der Stadtbücherei ein. Dort wurde ein Buch mit Texten von Deutschen und Flüchtlingen gemeinsam entwickelt, das vor Kurzem erschienen ist. Auch hier setzte sich Rawaz Mariwan kritisch mit seiner Heimat auseinander. Danach spielte er eine Rolle in Hellmichs Inszenierung „Hexenjagd“ bei Szene 93 und erhielt oft Szenenapplaus. „Wie er spielte, er passte perfekt in die Rolle“, sagt der Regisseur. „Sein komisches Talent kam sehr gut an, musste ich nur manchmal etwas bremsen“, berichtet er lächelnd. Auch beim Rhein-Erft–Kurzfilmfestival „Erftinale“ arbeitete man zusammen und die Gruppe erhielt den 1. Platz beim Publikumswettbewerb. Ebenfalls machte Rawaz Mariwan bei einer Fotoausstellung der Volkshochschule mit und kam immer wieder mit Aktiven der hiesigen Kunstszene ins Gespräch. „Das hat mir beim Deutschlernen sehr geholfen“, erklärt er. „Aber zwischen Künstlern gibt es auch eine gemeinsame Sprache, alle sind sehr offen und nett.“ Dass seine Auftritte beim Publikum so gut ankamen, mache ihn glücklich und half anzukommen. „Da hat man das Gefühl, man hat etwas geschafft.“ Es helfe ihm in seinem Alltag, gebe ihm Kraft in der neuen Umgebung. Aktuell absolviert er auch die Integrationskurse und hat einen Minijob. Für die Zukunft wünsche er sich, mit seinem Bruder, der in Süddeutschland lebt, eine gemeinsame Wohnung zu beziehen. Der große Traum? „Als Schauspieler in Deutschland auf Tournee zu gehen und Stücke auf die Bühne zu bringen, die Leute zum Lachen bringen und die menschliche Botschaften haben.“